Ein Push für die Linke

Vergeltungspläne des US-Präsidenten lassen Friedensbewegung in Deutschland zusammenrücken

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Eine junge Frau mit einem Palästinensertuch um den Hals hält den Autofahrern ein Plakat mit der Aufschrift „no war“ entgegen. Einige von ihnen lächeln, andere halten den rechten Daumen als Ausdruck der Zustimmung hoch. 150 Menschen sind am Montagnachmittag einem Internetaufruf gefolgt und haben sich am Brandenburger Tor zu einer spontanen Demonstration unter dem Motto „Nicht vergelten, sondern verändern“ versammelt. Andächtig lauschen sie den Worten einer Rednerin, die von Terror als „Ausdruck der Perversion in unserer zivilisierten Gesellschaft“ spricht. Ein anderer liest einen von der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag verfassten Zeitungsartikel vor, in dem sie die Anschläge vom vergangenen Dienstag als „Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigen Staaten“ bezeichnet.

Mit jedem Tag wächst die Angst vor einem Vergeltungsschlag und quer durch die Republik versammeln sich Menschen zu spontanen Demonstrationen. Noch sind es überwiegend kleinere Gruppen oder Initiativen, die für den Frieden auf die Straße gehen. Doch sie alle hoffen auf ein großes Anti-Kriegs-Bündnis. So auch die Organisatoren der Demonstration am Brandenburger Tor, die sich selbst als „G 4“ bezeichnen. Doch nicht vier mächtige Industrienationen stehen dahinter, sondern vier Frauen aus der Ostberliner Frauenbewegung. Ihnen geht es nicht nur darum, ein Zeichen zu setzen. „Wir wollen die Hintergründe der Ereignisse in den USA in den Blick nehmen“, sagt die 39-jährige Samirah Kenawi, deren Vater Araber ist. Dazu gehöre eine „ernsthafte Ursachensuche“ und eine „soziale, kulturelle und wirtschaftliche Befriedung der Gesellschaft“. Vom Berliner Landesverband der Grünen ist Kenawi enttäuscht. Dieser hatte ihr vorgeworfen, in einem Text „unverhohlenes Verständnis für die Täter“ zu zeigen. „Nur weil ich nach dem Warum der Anschläge gefragt habe“, sagt Kenawi. Dennoch ist sie sicher, dass viele kleine Aktionen „ein Anfang sind“.

Die 33-jährige Journalistin Ulrike Müller, die auch zur „G 4“ gehört, hat sich und ihrer 5-jährigen Tochter ein Band mit der Aufschrift „no war“ um die Stirn gebunden. Sie hofft „ganz stark“ auf „einen Push für die Linke, die seit Ewigkeiten erstarrt ist“.

Wie die Bundesregierung, die über die Parteigrenzen hinweg den Schulterschluss übt, ist auch unter linken Gruppen ein Zusammenrücken zu beobachten. So freut sich ein 38-jähriger Angestellter, dass die Vollversammlung des linksalternativen Zentrums „Mehringhof“ zur Vorbereitung einer Demo am kommenden Samstag einen „Minimalkonsens“ gefunden hat. Das heißt: „Solidarität mit den Opfern, Nein zu jeder Militäraktion der USA, Nato und Bundeswehr, Stopp der rassistischen Hetze gegen ImmigrantInnen, Nein zum Abbau demokratischer Rechte“.

Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag spricht von einer „ganz normalen menschlichen Reaktion“. Das bundesweite Gremium, das die jährlichen Strategietreffen der Friedensbewegung vorbereitet, veranstaltet am Samstag eine Aktionskonferenz in Kassel. „Wenn Bedrohung und Angst wachsen, werden die Leute aufgeschreckt“, sagt Strutynski. Der Sprecher des Bundesausschusses hat eine „Bewegung“ festgestellt, wie er sie „seit einigen Jahren“ nicht mehr erlebt hat. „Es ist die Zeit, dass die Leute uns die Bude einrennen.“ Strutynski glaubt, dass „das pazifistische Bewusstsein“ seit der Friedensbewegung in den 80er-Jahren „ziemlich verankert worden ist“. Trotzdem hofft er, dass zu der Aktionskonferenz nicht zu viele Leute kommen. Denn in den gemieteten Saal passen maximal hundert Menschen.