Tief gespalten im Friedensdienst

Die Gewöhnung an Kriegseinsätze in der deutschen Gesellschaft nimmt zu, müssen sich fast alle Friedensinitiativen in Berlin wieder einmal eingestehen

von PLUTONIA PLARRE

Seit sich die Anzeichen für einen militärischen Vergeltungsschlag der USA verdichten, verzeichnet das Büro der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär eine Nachfrage nach Beratung wie schon lange nicht mehr. Rund 50 Reservisten und zehn Soldaten hätten sich erkundigt, wie sie die Einberufung zu einem Kriegseinsatz verweigern könnten, beschreibt Ralf Siemens, Mitarbeiter der Kampagne, die Lage. Sogar ein hier stationierter Soldat der US-Armee habe Kontakt aufgenommen, bevor er mit seiner Einheit in den Nahen Osten verlegt worden sei. „Er wollte wissen, ob er für den Fall seiner Fahnenflucht bei uns Unterstützung findet“.

Aber auch aus der normalen Bevölkerung kämen besorgte Anrufe. „Die Leute haben Angst und fragen, was sie tun können. Ihre Befürchtung ist, dass eine Ausweitung der Militäraktionen Konsequenzen für ihr eigenes Leben haben könnte.“ Die Anwort der Kampagne-Mitarbeiter: an Informationsveranstaltungen, Mahnwachen und Demonstrationen teilnehmen und Leserbriefe gegen die „kriegsvorbereitende Propaganda“ der Medien schreiben. Für den Tag X, dem Tag, an dem die USA ihre Ankündigung wahrmachen, rufen Berliner antimilitaristische Gruppen zur Teilnahme an einer Spontan-Demonstration auf. Treffpunkt ist 18.00 Uhr an der Weltzeituhr, Alexanderplatz. Aber auch wenn das Interesse an Protestaktionen gegen den bevorstehenden Militärschlag zunimmt, von einem Wiederaufleben der Antimilitarismus-Bewegung wie zur Zeit des Nato-Doppelbeschlusses Anfang der 80er-Jahre, als hunderttausende auf die Straße gingen, kann keine Rede sein. Die Friedensbewegung ist zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Die verbliebenen Berliner Gruppen und Grüppchen, die sich den Kampf gegen den Militarismus auf die Fahnen geschrieben haben, sind seit dem Kosovokrieg tief gespalten. Geknallt hatte es wegen der Frage, ob die Juso als Untergliederung der SPD, die den Bundeswehreinsatz befürwortet hatte, noch einem antimilitärischen Bündnis angehören dürfen.

Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele stieß wegen seiner Parteizugehörigkeit auf Ablehnung, obwohl er ein entschiedener Kritiker des Natoeinsatzes war. Die Engstirnigkeit der autonomen Antimilitarismusgruppen hatte dazu geführt, dass die Kampagne gegen Wehrpflicht und die PDS das Bündnis gegen die Bundeswehrgelöbnisfeiern verließen: „Diese Form der Auseinandersetzung hat keine politische Zukunft“, sagte Thomas Bartel vom PDS-Landesvorstand damals zur taz.

Aber nicht nur deshalb dümpeln die Antimilitarismus-Gruppen vor sich hin. „Die Gewöhnung an Kriegseinsätze in der deutschen Gesellschaft nimmt zu“, sagt Ralf Siemens. Nicht zuletzt hätten die Grünen und deren Anhänger der Friedensbewegung das Wasser abgegraben, indem sich die Partei von einer kriegsablehnenden zu einer Militäreinsätze befürwortenden Partei wandelte. Seit dem Terroranschlag in den USA beginne nun selbst in der PDS „das kriegsablehnende Potenzial zu bröckeln“, sagt Siemens. Gemeint ist Gregor Gysi, der quasi im Alleingang eine begrenzte militärische Gegenaktionen befürwortet hat.

Die Kampage gegen Wehrpflicht allerdings ist gegen jegliche militärische Reaktion. „Wir verurteilen den Terroranschlag in den USA und sind der Meinung, dass die verantwortlichen Täter dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Es ist aber ein Irrglaube zu meinen, dass Terrorismus mit militärischen Mitteln geschlagen werden kann“, so Siemens.

Diese Auffassung wird auch von der Humanistischen Union, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, Pro Asyl, dem Republikanischen Anwaltsverein und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen vertreten. In einer gemeinsamen Presseerklärung rufen die Organisationen dazu auf, „der emotionalen Kriegsvorbereitung Besonnenheit und rechtsstaatliches und freiheitliches Denken entgegenzusetzen. „Wir wollen Gerechtigkeit statt Rache und weltweite Hilfe statt Krieg gegen die Armen“. Auch wenn er sich über die Zunahme von mahnenden Stimmen freut, kann sich Siemens zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorstellen, dass sich viele Leute aus dem etablierten bürgerlichen Spektrum an den Antikriegsdemonstrationen der nächsten Tage und Wochen beteiligen werden. Ganz sicher ist er sich mit der Einschätzung allerdings nicht. „Entscheidend wird sein, wie heftig die Reaktion der Amerikaner ausfällt.“ Der entscheidene Mobilisierungsfaktor für die Leute aus dem bürgerlichen Lager werde die Betroffenheit und Angst vor einem Gegenschlag sein, glaubt Ralf Siemens.

Was die Demonstration am kommenden Samstag – Treffpunkt 14 Uhr Weltzeituhr – angeht, zeigt sich Siemens vorsichtig optimistisch. Er rechnet mit über 1.000 Teilnehmern: „Das wären deutlich mehr Leute, als sich an den letzten Demonstrationen gegen Kriegseinsätze beteiligt haben.“ Aufgerufen wird dazu von einem „Bündnis gegen Krieg“, dem Gruppen und Einzelpersonen aus dem Spektrum der Antimilitarismus- und Migrantenarbeit angehören.