Grüne Unsicherheiten

Mit Sorge beobachten die Grünen die geplanten Anti-Terror-Maßnahmen. Sie fürchten um ihr Image als Bürgerrechtspartei. Doch verschließen können sie sich der Debatte über die innere Sicherheit nicht

„Bewährungsprobe der Grünen als Bürgerrechtspartei“

von SEVERIN WEILAND

Es gibt eine Metapher, die derzeit in der Bundestagsfraktion der Grünen die Runde macht und sich nun in einem Thesenpapier zur inneren Sicherheit wiederfindet: „Wer eine Kaffeetasse sucht, sollte nicht den Geschirrschrank umwerfen – dann ist auch die Tasse kaputt.“ Nicht nur der Koalitionspartner SPD, vertreten insbesondere durch den Bundesinnenminister Otto Schily, sondern auch die Länder erheben fast täglich neue Forderungen. Man stehe, heißt es, „unter einem enormen Druck“.

Wie stark die Anspannung ist, wurde am vergangenen Sonntag offenkundig, als Parteichefin Claudia Roth in der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ mit Schily aneinander geriet. Während Roth die Wirksamkeit von Regelanfragen bei Zuwanderern durch den Verfassungsschutz in Frage stellte, sprach Schily von einem „vernünftigen Vorschlag“. Außenminister Joschka Fischer zog sich dagegen geschickt aus der Affäre: Wenn durch Regelanfragen ein Sicherheitsgewinn zu erreichen sei, gab er sich in der ZDF-Sendung „Was nun“ betont vorsichtig, „dann sollte man in diese Richtung gehen“.

Fraktionsintern scheinen sich die Grünen auf diese moderate Tonlage einzustimmen. Angesichts der aktuellen Sicherheitslage wollte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Volker Beck nicht ausschließen, „dass wir besondere Maßnahmen, die diese Zeit erfordert, mittragen“. Wie diese aussehen, lässt sich derzeit nur in Ansätzen erkennen. Der Diskussionsprozess auf Fraktionsebene hat erst begonnen, mit dem Thesenpapier als Argumentationshilfe.

In einigen Punkten scheint sich jedoch ein Konsens abzuzeichnen: Die Grünen werden den Kampf gegen Geldwäsche und Finanzströme an extremistische Organisationen ebenso unterstützen wie eine verbesserte technische und personelle Ausstattung der Polizei. Auch die zusätzlichen Sicherheitsstandards auf Flughäfen und in Flugzeugen finden Zustimmung. Ein totales Verbot von Handgepäck – wie von der Gewerkschaft der Polizei angeregt – wird dagegen skeptisch beurteilt. Besser seien genaue Kontrollen, möglicherweise ein Wegschließen des Gepäcks. Hier wird auf das geplante Waffengesetz verwiesen, das ein Verbot von Faust- und Butterflymessern vorsehe.

Von den Realos bis zu den Linken besteht offenkundig Einvernehmen darüber, dass die Grünen ihr Image als Bürgerrechtspartei nicht aufgeben dürfen – zumal sich auch die FDP auf diesem Feld zu profilieren versucht und bereits vor hektischen Maßnahmen warnt. „Innezuhalten und nachzudenken“ empfiehlt der grüne Innenexperte Cem Özdemir und kritisiert manche „abenteuerlichen“ Vorschläge. Der Datenschutz sei kein Terroristenschutz. Innenminister Schily hatte sich für Lockerungen aussprochen. Man werde den Datenschutz „mit Sicherheit nicht abräumen“, so Özdemir.

Sorge um das Profil der Partei hat auch der Haushaltspolitiker Oswald Metzger, wie Özdemir ein Vertreter des Realo-Flügels. Als „alter Linksliberaler“ fände er manche Vorschläge in der derzeitigen Debatte „reichlich hysterisch“. Von einer „Bewährungsprobe der Grünen als Bürgerrechtspartei“, spricht Hans-Christian Ströbele vom linken Flügel. Aber auch er konstatiert nüchtern: „Wenn es bestimmte unanständige Vorschriften geben sollte, die man zur gezielten Bekämpfung des Terrorismus für notwendig hält, sollte man diese zeitlich befristen.“

Mit derlei Abfederung haben die Grünen Erfahrungen: Das erst im Mai verschärfte G-10-Gesetz zur Fernmeldeüberwachung wird auf ihr Betreiben hin nach zwei Jahren einer Bewertung unterzogen. Eine zeitliche Befristung gilt den Grünen beim überarbeiteten Vereinsgesetz als kaum praktikabel. Die Aufhebung des Religionsprivilegs findet allgemein Zuspruch, auch bei Ströbele. Überlegungen zu möglichen Verboten von Religionsgemeinschaften seien schließlich bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Scientology-Sekte angestellt worden. „Völlig daneben“ findet der Jurist Ströbele hingegen den Vorschlag seines Kollegen Beck, dass ein unabhängiges Gremium die Fusion der Geheimdienste prüfen solle. Beck erhofft sich eine höhere Effizienz, ohne dass zusätzliche Mittel für die Dienste notwendig würden. Eine Vermischung polizeilicher und militärischer Dienste wird in dem Thesenpapier als hoch problematisch bewertet – wenngleich über das Zusammengehen von Militärischem Abschirmdienst (MAD) und Bundesnachrichtendienst (BND) nachgedacht werden solle.

Datenschutz „mit Sicherheit nicht abräumen“

Mit großer Skepsis sehen die Grünen auch die Vorschläge, in Pässe und Personalausweise künftig einen Fingerabdruck aufzunehmen. Nicht nur praktische Gründe stünden dem entgegen – es müssten schließlich rund 160 Millionen Dokumente neu gedruckt werden. Bei einer zentralen Speicherung kämen auch datenschutzrechtliche Risiken hinzu, heißt es in dem Papier. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Fingerabdrücke deutscher Staatsbürger bei Auslandsbesuchen auch von diktatorischen Staaten erfasst würden.

Besonders pikant ist für die Grünen die Einführung des neuen Paragrafen 129 b ins Strafgesetzbuch. Mit dem können künftig ausländische kriminelle oder terroristische Vereinigungen wie deutsche verfolgt werden. Führende Grüne, darunter die heutige Verbraucherschutzministerin Renate Künast, Parteichefin Roth und Hans-Christian Ströbele, hatten noch voriges Jahr einen Aufruf zur Abschaffung des 129 a unterzeichnet. Eine wohl eher symbolisch gemeinte Forderung. Denn dass diese keine Chancen hat, ist auch den Experten in der Fraktion klar.

Im Zusammenhang mit dem neuen 129 b, der bereits seit zwei Jahren auf Ministerebene diskutiert wird, mühen sich die Grünen weiter um einen Teilerfolg. Bereits vor geraumer Zeit hatten sie beim Bundesjustizministerium vorgefühlt, ob der rechtlich unklare Tatbestand des „Werbens“ für eine terroristische Vereinigung im Paragraf 129 a und damit auch im 129 b gestrichen werden könnte. Positive Signale habe man damals empfangen, heißt es aus der Fraktion. Ob es tatsächlich zu der Streichung kommt, etwa in den anstehenden Ausschussberatungen des Bundestages, ist jedoch höchst ungewiss.