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Glanz und Elend der Bibliotheken

Die Vernetzung der Berliner Bibliotheken und die digitale Erfassung ihrer Bestände schreiten voran. Noch aber ist es ein weiter Weg ins bibliophile Arkadien. Kritiker bemängeln das Fehlen eines schlüssigen Sanierungskonzepts

von CHRISTOPH RASCH

Berlins Bibliotheken geht es prächtig. Seit vergangener Woche können acht Millionen Berliner Bücher im Internet recherchiert werden – im Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlins (VÖBB), dem bisher größten Projekt seiner Art. Und auch den seit 1997 bestehenden Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg mit seinem Online-Katalog wird es nach dem Willen der Kulturminister weiterhin geben.

Berlins Bibliotheken geht es schlecht. Die Bestände sind veraltet. Dutzende Bezirksbüchereien werden dichtgemacht. Und andere sehen angesichts der herrschenden Finanzkrise ihre Arbeit bedroht – vielerorts herrsche „Notbetrieb“. Und auch Vorzeigehäuser haben Probleme. Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) trägt im hundertsten Jahr ihres Bestehens ein Defizit von knapp vier Millionen Mark vor sich her.

Die ZLB-Häuser, die Amerika- Gedenkbibliothek (AGB) und die Berliner Stadtbibliothek, sind erst seit vergangener Woche an das VÖBB-Netz angeschlossen. ZLB-Chefin Claudia Lux sieht darin auch das Licht am Ende des Tunnels. Die Berliner Bibliotheken stünden nun vor dem „Sprung von der Steinzeit in die Moderne“, der „lang ersehnte Traum“ vom Online-Gesamtkatalog sei damit endlich Wirklichkeit geworden.

Ein digitaler Kraftakt – immerhin ein Fünftel des Berliner Buchbestandes ist bereits katalogisiert. In den 800 Berliner Häusern verwalten 3.000 Bibliothekare 40 Millionen Bände in den Regalen und Magazinen – damit verfügt die Hauptstadt über die höchste Bibliotheks- und Bücherdichte der Welt. Ein Angebot, das sieben Millionen Menschen jedes Jahr nutzen.

Bis zu zwölf Millionen Nutzer im Jahr will der Online-Katalog des VÖBB anlocken. Am VÖBB, 1995 vom Berliner Senat beschlossen und mit 20 Millionen Mark finanziert, sind 126 öffentliche Bibliotheken beteiligt – bis Jahresende sollen sämtliche Berliner Bücherhallen dort eingebunden sein. Die Betreiber – Bezirke, ZLB und Senat – rechnen mit täglich bis zu 50.000 Recherchen. Ab Oktober etwa sollen alle Gebühren-Angelegenheiten in jeder der am Verbund beteiligten Bibliotheken zu erledigen sein. Dort stehen zudem 1.200 PC-Arbeitsplätze für die Arbeit am Online-Katalog bereit. Auch ein Lieferservice ist inklusive: Gegen eine Gebühr werden die bestellten Medien sogar nach Hause geliefert.

Auch der seit 1999 testweise betriebene „Kooperative Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg“ (KOBV) wurde vor wenigen Wochen in den Routinebetrieb überführt. In Brandenburg sind dort bereits alle Hochschulbibliotheken und etwa 25 der 161 öffentlichen Häuser vernetzt, Bücher können auch hier online gesucht und bestellt werden. „Eine viel versprechende Entwicklung in Richtung einer Bibliothek der Zukunft“, heißt es aus dem Potsdamer Kulturministerium. Dort hofft man auf eine Revolution im „Wissens- und Wissenschaftsmanagement“. Manch einer spricht da sogar von einer bibliothekarischen Zeitenwende. „Die alte Regel, dass der Kunde zum Buch kommen muss, gilt in Berlin nicht mehr“, sagt VÖBB-Projektleiterin Charlotta Flodell, und: „Mit dem VÖBB hat in den Bibliotheken der Dienstleistungsgedanke Einzug gehalten.“

Schon oft wurde in der Vergangenheit über mangelnde Effizienz der Bibliotheken gestritten – und über ihre mögliche Privatisierung. Und noch immer fehle der Berliner Verwaltung ein schlüssiges Sanierungskonzept, meinen Kritiker. Seit der Wende sind zwar 100 Bibliotheken geschlossen worden, doch die Politik halte am Grundkonzept des Bibliothekensystems fest. Das jedoch leidet wiederum unter der Verwaltungsteilung zwischen dem Land Berlin und den Bezirken – eine Reform zugunsten einiger weniger gut ausgestatteter Standorte sowie die Vernetzung der Bezirksbibliotheken untereinander werde dadurch erschwert, meint Susanne Metz, Leiterin der Stadtteilbibliothek Friedrichshain-Kreuzberg: „Die Losung der Zukunft kann in Berlin nur sein: Qualität statt Quantität.“

Das Maß für die Qualität im digitalen Zeitalter geben die USA vor, hier laufen derzeit Pilotprojekte wie der virtuelle „Ask us Live“-Informationsschalter, an dem Nutzer in Echtzeit zusammen mit einem Bibliothekar Buchtitel recherchieren können. Davon ist man in Berlin noch entfernt, wenn auch nicht mehr so weit wie zuvor.

Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlins (VÖBB): www.voebb.de. Online-Katalog des Bibliotheksverbunds Berlin-Brandenburg: www.kobv.de

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