Operation mit offenem Ende

Bin Ladens Eliminierung könnte nur erstes US-Ziel sein. Aufmarschierende Streitkräfte führen wohl länger Krieg

von BERND PICKERT

„Das Pentagon hat ein riesiges Loch, und doch bekommen wir weniger Informationen als je zuvor“, klagte ein Reporter am Dienstag bei einer Pressekonferenz des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. „Gut“, antwortete der grinsend, „sehr gut.“ Tatsächlich haben sich die US-Politiker bislang extrem zurückgehalten, ihre möglichen militärischen Optionen vor der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Seit vorgestern rollt die Kriegsmaschinerie nun auch öffentlich, und die bevorstehende Militäraktion hat einen Namen bekommen: „Operation unendliche Gerechtigkeit“ (Operation Infinite Justice) hat das Pentagon sie genannt. F-15E-Kampfbomber, F-16 Kampfflugzeuge, B-1-Bomber, Awacs-Aufklärungsflugzeuge und allerlei unterstützendes und logistisches Material ist unterwegs in die Golfregion –und in die ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan und Tadschikistan, an deren Südgrenze Afghanistan liegt.

Der US-Flugzeugträger „Theodore Roosevelt“ mit 75 Kampfflugzeugen befindet sich an der Spitze einer Reihe von Kriegsschiffen ebenfalls auf dem Weg in die Region. Im Persischen Golf und der Arabischen See stoßen sie auf jene US-Streitkräfte, die unter anderem mit zwei Flugzeugträgern seit dem Golfkrieg 1991 in der Region verblieben sind und von dort und von der US-Luftwaffenbasis Incirlik in der Türkei aus die Flugverbotszone im Nordirak überwachen.

Die Special Forces

Doch wenn es tatsächlich darum geht, gegen Stellungen des in Afghanistan lebenden mutmaßlichen Drahtziehers der Anschläge, Ussama bin Laden, vorzugehen, werden Raketen und Luftkrieg nur eine unterstützende Rolle spielen. Die zentrale Aufgabe kommt den US Special Forces zu. Die rund 50.000 Mann starke Truppe wird seit Jahren für solche Einsätze trainiert.

Da allgemein angenommen wird, Bin Laden halte sich in Südafghanistan nahe der pakistanischen Grenze auf, würden diese Truppen vermutlich von Pakistan aus operieren. Einiges spricht dafür, dass sie dort längst sind: Seit der von der Clinton-Regierung angeordneten Bombardierung Afghanistans 1998 halten sich Gerüchte, kleine Einheiten der Special Forces stünden streng geheim in Pakistan bereit. Zum anderen gab es schon vor einigen Tagen Berichte, nach denen Spezialeinheiten mit offiziell unbekanntem Ziel die USA verlassen hätten.

Noch immer ist offen, welche Ziele und welchen zeitlichen Ablauf die geplanten militärischen Operationen haben werden. Eine Besetzung Afghanistans durch US-Truppen ist angesichts der schwierigen Kampfbedingungen in dem Land sehr unwahrscheinlich. Seit Alexander dem Großen hat dort keine ausländische Macht mehr einen Krieg gewonnen. Längerfristig steht zu vermuten, dass – womöglich in russisch-amerikanischer Kooperation – die Nordallianz der international anerkannten afghanischen Exilregierung militärisch massive Unterstützung erhält, um die Taliban zu stürzen.

Gleichwohl haben sich die USA in Zugzwang gesetzt, Bin Laden militärisch zu Leibe zu rücken, und das bald. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit eine möglichst zeitlich begrenzte Aktion, bei der die Special Forces, durchaus mit Luftunterstützung, die Stellungen und Aufenthaltsorte Bin Ladens aufspüren – mit dem Ziel, den Mann nachweisbar zu töten. An einer Gefangennahme Bin Ladens, die einen Prozess mit voraussichtlich schwieriger Beweisführung in den USA nach sich ziehen würde, kann Washington kein Interesse haben.

Erbfeind Saddam

Doch mit dieser Aktion, wenn sie denn gelingen sollte, wird der „Krieg gegen den Terrorismus“ kaum vorüber sein. Schon sind andere Länder, allen voran der Irak, wieder ins Visier der US-Strategen geraten. Bereits zu Beginn der Amtszeit George W. Bushs hatten viele vermutet, er werde versuchen, das Werk seines Vaters zu vollenden und Saddam Hussein zu Fall zu bringen. Die Nachricht von vorgestern, der Flugzeugattentäter Mohamed Atta habe Kontakte zum irakischen Geheimdienst gehabt, kommt da gerade recht. Äußerungen aus dem US-Verteidigungs- und Justizministerium, es gebe deutliche Hinweise darauf, dass das mutmaßlich für die Anschläge verantwortliche Terrornetzwerk auch staatliche Unterstützung erhalte, zusammen mit der Ankündigung des stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz, man werde „Staaten ausschalten“, die den Terrorismus unterstützen, lassen eine militärische Aktion gegen den Irak wahrscheinlich erscheinen. Dafür müssten sich die USA in der arabischen Welt diplomatisch absichern. Davon sind sie aber noch weit entfernt.

In welchen Zeiträumen im Pentagon gedacht wird, bleibt unklar. Die Londoner Times berichtet unter Berufung auf US-Geheimdienstquellen, geplant sei eine fünf bis zehn Jahre andauernde Kampagne. Das deckt sich mit den andauernden Beschwörungen des Pentagons und des US-Außenministeriums, es werde sich um einen langen Feldzug handeln. Insofern könnte die Entsendung der Truppen in den Golf auch jenseits unmittelbar bevorstehender Militäraktionen einfach dem Aufbau einer massiven Präsenz für mittelfristige Pläne dienen.