Brechmittel: Keine Diskriminierung?

■ Gerichtlich erwiesen: Polizei verabreichte einem Afrikaner widerrechtlich Brechmittel. Trotzdem feilscht die Stadt beim Schmerzensgeld um ein paar hundert Mark

Sprechen Sie nicht in der Öffentlichkeit mit Betäubungsmittel-Konsumenten. Das ist verdächtig. Verlassen Sie einen öffentlichen Ort nach einem Zwiegespräch nicht in entgegengesetze Richtungen. Das ist „drogenmilieutypisch“. Machen Sie in der „polizeilich bekannten Drogenstrecke“ zwischen Am Brill und Hauptbahnhof auch keine Schluckbewegungen.

Aus diesen Tatsachen konstruierte die Bremer Polizei am 9. Dezember 1999 nämlich einen „Anfangsverdacht“, aufgrund dessen sie einen 37-jährigen Familienvater festnahm. Zunächst einzige Erklärung: „Du hast was runtergeschluckt.“

Im Keller des Polizeireviers musste sich der Festgenommene ausziehen und sollte eine gelbe Flüssigkeit schlucken. Seine Anwältin durfte er nicht anrufen. Laut Rechtsanwältin Amparo Pardo drohte der hinzugezogene Arzt, Dr. Ritter, bei Weigerung dem Festgehaltenen einen Schlauch in die Nase zu stecken, sodass der schließlich die Flüssigkeit trank. So etwas nennt die Polizei „Exkorporation“. Im Klartext: Brechmittel verabreichen. Die Folgen in diesem Fall: Mehrmaliges Erbrechen, schließlich auch Blut. Von heruntergeschluckten Drogen keine Spur.

Noch am nächsten Tag stellte der Hausarzt des Mannes bei ihm Druckschmerzen im Unterbauch fest; Übelkeit und Durchfall hielten eine Woche lang an. Der Tischler war eine Woche krankgeschrieben.

Eine am 21. Januar 2000 von der Anwältin erstattete Strafanzeige gegen die beiden verantwortlichen Polizeibeamten endete zehn Monate später damit, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen der „geringen Schwere der Schuld“ der Polizisten einstellte. Die Staatsanwaltschaft bestätigte das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Der rechtfertige aber keine Exkorporation.

Dass sich Aussagen der beschuldigten Beamten widersprachen, fand die Staatsanwaltschaft unproblematisch. Widersprüchliche Aussagen bedeuteten nicht immer, dass jemand unglaubwürdig sei. Es könne sogar das Gegenteil bedeuten: Hätten die Polizisten den 37-Jährigen wirklich grundlos festgenommen, dann hätten sie sicherlich zu ihrem eigenen Schutz ihre Aussagen vorher genauestens abgesprochen. Die vorhandenen Widersprüche galten so als Beleg für die Glaubwürdigkeit der Beamtenaussagen.

Nach der Verfahrenseinstellung hat der Gedemütigte 2.000 Mark Schadensersatz von der Stadt Bremen verlangt. Nach mehreren Schreiben seiner Anwältin an die Stadt gingen schließlich 500 Mark auf einem Konto ein – unkommentiert und ohne Zeichen des Bedauerns.

Bei einem Termin gestern vor dem Landgericht stritten schließlich die Parteien um einen Vergleich. Die Anwältin des Klägers verlangte vor allem, dass die beklagte Stadt Bremen sämtliche Verfahrenskosten trägt, damit ihr Mandant überhaupt noch etwas von dem Geld übrig behält. Der Vertreter der Verteidigung argumentierte, dann würde man „das Schmerzensgeld geringer machen und dafür die Kosten übernehmen. Das ist doch eine Spielerei.“ Auf die Frage „Spielerei für wen?“ antwortete er nicht.

Ein wichtiges Anliegen von Anwältin Pardo war vor allem die Anerkennung der Tatsache, dass die Ereignisse einen diskriminierenden Charakter hatten: Ihr Mandant ist Ghanaer, seine Haut ist dunkel. Polizeijustiziar Dieter Göddke drückte zwar sein Bedauern darüber aus, dass der Betroffene „Adressat der Maßnahme“ war. Fast im gleichen Atemzug ereiferte er sich allerdings, die schwarze Hautfarbe des Klägers habe selbstverständlich keine Rolle bei dem polizeilichen Vorgehen gespielt.

Das Ende einer peinlichen Feilscherei um 250 Mark: Die Stadt zahlt insgesamt 1.500 Mark Schmerzensgeld und trägt zwei Drittel der Verfahrenskosten.

Pardo und ihr Mandant sind unzufrieden: Die Stadt habe nicht anerkannt, dass dem Kläger diese Demütigungen erspart geblieben wären, wenn er keine schwarze Hautfarbe hätte. Ulrike Bendrat