Homepages helfen heilen

Unabhängige Fachgruppen erarbeiten Qualitätssiegel für seriöse Inhalte medizinischer Webseiten. Bislang sind sowohl Fachleute als auch Laien durch die Informationsflut im Internet oft verunsichert

von HOLGER KLEMM

Hemmschwellen sinken. Seit sich Selbsthilfegruppen und Vereine online präsentieren, ist es leicht wie nie, medizinisch-therapeutische Informationen zu finden. Chats und Pinboards geben anonym erste Antworten bei Depression und Essstörung, Multipler Sklerose und Alkoholkrankheit. Und der Boom von Gesundheitsportalen ist noch nicht zu Ende. Die Zahl der deutschsprachigen Angebote wird auf eine halbe Million Seiten geschätzt. Nachdem viele privatkommerzielle Versuche scheiterten, ziehen nun die Krankenkassen verstärkt nach. Auch hier bleiben dem Kunden berechtigte Zweifel: Ist die billigste Behandlung wirklich die beste? Wer prüft unabhängig die Seriosität gesundheitlicher Informationen?

Das Interesse an seriösen Informationen steigt nicht nur beim Verbraucher. Auch Ärzte und Krankenkassen signalisieren Bedarf. 1999 formierten sich dazu erstmals an die hundert Träger unter loser Moderation des Bundesgesundheitsministeriums. Es war die Geburtsstunde des Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (AFGIS). Die Fachleuten aus Wissenschaft und Gesundheitsverbänden haben sich viel vorgenommen. Sie wollen seriöse von unseriösen Beratungsseiten unterscheiden. Gegenwärtig stehen Transparenzkriterien zur Debatte. Eines der möglichen Ergebnisse ist eine Zertifizierung vertrauenswürdiger Seiten im Netz. Momentan setzt AFGIS noch verstärkt auf Selbstverpflichtungskriterien der Anbieter.

Die Schweizer haben bereits einen Qualitätsstandard – den „Health on the Net Code“ (HON) – entwickelt und ein Siegel eingeführt. Aber es gibt keine Instanz, die nachprüft, ob Vorgaben wie die Trennung von redaktionellen Beiträgen und Werbung wirklich eingehalten werden.

Die Heidelberger Forschungsgruppe Cybermedizin arbeitet ebenfalls an einer Qualitätsbescheinigung für Webseiten mit medizinischen Inhalten, konnte sich aber noch nicht auf die dafür einzuhaltenden Standards einigen. Ziel der Heidelberger ist ein europaweit gültiges Zertifikat: Medcertain. Fraglich ist auch hier, wie die kontinuierliche Überprüfung geleistet werden soll. Bei jeder Aktualisierung der Webseiten müssten alle Inhalte neu gecheckt werden – ein in Anbetracht des Umfanges unrealistisches Unterfangen.

Handhabbarer erscheinen da die Tests bei Discern, einem Institut der Medizinischen Hochschule Hannover. Hier bewerten die Patienten und andere Online-Nutzer nach einem detaillierten Fragenkatalog die medizinischen Inhalte. Dr. Magnus Lerch, Hauptinitiator der Verbraucheruntersuchung, plant in Zusammenarbeit mit der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung (ÄZQ), alle deren umfangreiche Angebote nach seinem Verfahren zu bewerten. Dann finden Nutzer verlässliche Informationen anderer Nutzer zu allen medizinischen und therapeutischen Belangen. Discern wurde Mitte der 90er in England entwickelt und seit 2000 auch in Deutschland publiziert. Mit der Informationsflut steigt der Dilettantismus. Mit der entsprechenden Technik kann jeder sein ultimatives Wundermittel weltweit anpreisen. Der Produzent kann sich virtuell als Betroffener ausgeben. Über falsche Eigenbehandlung aufgrund dubioser Quellen existiert bisher keine Untersuchung. Die Stiftung Warentest fand heraus, dass die Beurteilung von Webseiten zwischen Medizinern und Laien stark variiert. Während die Fachleute das Gesundheitsportal „Lifeline“, eine Seite über Prostataerkrankungen, mit „sehr gut“ bewerteten, vergaben Laien nur „ausreichend“ bis „mangelhaft“. Gründe sind die verschiedenen Sichtweisen auf das Thema: Ein Kranker sucht andere Antworten als ein Mediziner. Außerdem kritisieren Laien die häufig verwendete medizinische Fachsprache und den Umstand, dass der Nutzen von Therapien, seien diese auch noch so hilfreich und notwendig, nicht deutlich genug beschrieben wird. Die Stiftung empfiehlt Internetnutzern, die Informationen immer mit Beschreibungen auf anderen Webseiten zu vergleichen. Kritisch zu prüfen sei auch, ob Vor- und Nachteile der Verfahren beschrieben würden, Autor und Aktualität kenntlich sind und auf Quellen hingewiesen wird.

Je höher die Messlatte der Qualitätskriterien gehängt wird, desto mehr schrumpft der Wust der halben Million Seiten zusammen. Die Ärztliche Zentralstelle für Qualitätssicherung (ÄZQ) legt bei ihrem Portal (www.patienten-information.de) Wert auf HON- und Discern-Richtlinien. Alle Informationsseiten sind frei von kommerziellen Interessen. Als Gemeinschaftsprojekt von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und der Abteilung Epidemiologie und Sozialmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover spielt die ÄZQ eine Vorreiterrolle bei qualitätsgeprüften Seiten.

Fundierte und nützliche Seiten sind außerdem zu finden bei NAKOS, der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (www.nakos.de). Die wohl umfangreichste und zudem nutzerfreundliche Sammlung von Links und Gesundheitstipps ist eingebunden in die Ratgeberseiten des ZDF. Ein auf Berlin zugeschnittenes Angebot liefert SEKIS, die Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationsstelle (www.sekis-berlin.de). SEKIS berät Selbsthilfegruppen beim Einrichten von Internetseiten. Auch das Bilden von Qualitätszirkeln wird gefördert. Reine Chats und Newsgroups sind zwar der Definition nach auch Selbsthilfegruppen, entziehen sich aber jeder Statistik, da sie sich nur virtuell treffen. Dort überwiegen rein individuelle Erfahrungsberichte und Tipps von Betroffenen, sodass sich dort weder Nutzen noch Schäden empfohlener Therapien herausfinden lassen.

Der AFGIS-Geschäftsführer, Dr. Uwe Prümel-Philippsen, rät denn auch allen Anbietern und Selbsthilfegruppen, die mit Gesundheitsinfos ins Netz gehen wollen, sich auf jeden Fall mit einer Plattform wie NAKOS oder SEKIS und mit der ÄZQ in Verbindung zu setzen.