Somalias Islamisten für Bin Laden

Aufrufe zu Solidaritätsdemonstrationen in der Hauptstadt Mogadischu. Die somalische Erinnerung an die blutige US-Militärintervention von 1993 ist noch sehr lebendig. Westliche Hilfsorganisationen in Somalia ziehen sich zurück

BERLIN taz ■ Islamistische Organisationen in Somalia haben gestern die Bevölkerung der Hauptstadt Mogadischu dazu aufgerufen, für Ussama Bin Laden zu demonstrieren. Aus Lautsprecherwagen wurde zu einer Massenkundgebung im Stadion der Stadt nach dem Freitagsgebet gerufen. Die USA wollten das afghanische Volk zerstören und nutzten Bin Laden als Vorwand, um alle Muslime anzugreifen, hieß es zur Begründung. Flugblätter in Mogadischu zeigen den wegen der Terroranschläge in den USA am 11. September gesuchten Saudi zusammen mit einer AK-47 und der Parole „Bin Laden, Held des Islam“.

Somalias Bevölkerung ist überwiegend gegen die USA eingestellt – Hinterlassenschaft der blutigen US-Militärintervention in dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland 1992–93. Damals töteten US-Truppen zahlreiche Somalis, und somalische Warlords schlugen mit Hilfe islamistischer Kämpfer aus anderen Ländern zurück. Die USA brachen ihre Intervention in Somalia im Oktober 1993 überstürzt ab, nachdem Milizen in Mogadischu 18 US-Soldaten getötet hatten.

Bin Ladens Organisation, die damals aus dem Sudan heraus operierte, galt als treibende Kraft hinter dem somalischen Widerstand gegen die US-Truppen. „Manche unserer Mudschaheddin, die in Afghanistan gekämpft hatten, nahmen auch an Operationen gegen die Amerikaner in Somalia teil und waren erstaunt über den Zusammenbruch der amerikanischen Moral“, sagte Bin Laden vor vier Jahren dem britischen Reporter Robert Fisk. „Das hat uns davon überzeugt, dass Amerika ein Papiertiger ist.“

Islamisten waren in den Wirren der 90er-Jahre in Teilen Somalias der einzige Ordnungsfaktor. Die seit Sommer 2000 in Mogadischu regierende Übergangsregierung stützt sich auf islamistische Gruppen, die mit der Einführung von Scharia-Gerichten den Anschein eines Rechtswesens wiederhergestellt haben.

In Somalia sind zwei größere islamistische Organisationen bekannt: Die humanitäre Al-Islah und die bewaffnete Al-Ittihad, die von der Regierung Äthiopiens verdächtigt wird, äthiopische Rebellen zu unterstützen.

Heute gilt Somalia als möglicher Stützpunkt für die internationalen Aktivitäten der Bin-Laden-Organisation. „Somalia ist ein Land ohne richtige Regierung, also können Ausländer dort ohne Kontrolle leben und ihren Geschäften nachgehen“, sagte der französische Somaliaforscher Rolland Marshal in einem Interview und wies darauf hin, dass in Somalia „ein Netzwerk islamischer Nichtregierungsorganisationen wie die von Bin Laden“ operiere: „Sie werden von Saudis, Kuwaitis oder Sudanesen gefördert und sind eng mit islamistischen Organisationen in ihren jeweiligen Ländern verbunden“.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September haben die in Somalia tätigen westlichen Hilfsorganisationen ihre Aktivitäten stark eingeschränkt, ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und ihr Personal auf ein striktes Minimum reduziert. Bei ihnen geht die Angst um, Bin Laden könne aus Afghanistan nach Somalia flüchten und das Land damit zur Zielscheibe von US-Militäraktionen machen.

Sämtliche Nachbarländer Somalias sind bereits Teil der neuen US-Koalition. Kenia und Dschibuti, die beide strategisch wichtige Häfen haben, sagten am Donnerstag den USA logistische Hilfe zu. Äthiopien hat seine Grenze zu Somalia geschlossen. In Somalias Hauptstadt Mogadischu wiederum hat eine Zeitung Anzeigen geschaltet, in denen Freiwillige zur Unterstützung der Taliban im Falle eines US-Angriffs auf Afghanistan gesucht werden. DOMINIC JOHNSON