ehrenkodex der paschtunen

Der Gast muss geschützt werden

Die Taliban erklären der Welt ihren Widerstand gegen eine Auslieferung von Ussama Bin Laden mit rechtlichen Argumenten oder islamischer Solidarität. Doch der wichtigste Grund liegt im „Paschtunwali“, dem Ehrenkodex der Paschtunen, der das soziale Verhalten innerhalb der egalitären Stammesgesellschaft der männlichen Paschtunen bestimmt. Neben dem Paschto, der iranischstämmigen Regionalsprache, ist der Kodex das Einzige, was die zahlreichen Stämme im Süden und Westen Afghanistans verbindet. Paschtunwali, in Geschichten und Volksliedern überliefert, umfasst Regeln, zu welchen Anlässen der Paschtune ein Fest ausrichten muss, wie er sich im Kampf verhält, die Ehre von Frauen verteidigt, anvertrauten Besitz schützt, wen er nicht töten darf („eine Frau, einen Hindu, einen Bänkelsänger, einen unbeschnittenen Knaben“), wen er begnadigt, welche Orte sakrosankt sind und wer den Tod verdient – das Niedermachen eines Ehebrechers ist hier genau festgelegt. Das Gesetz der Blutrache ist unerbittlich, aber ebenso absolut ist sein Gegenstück, das Gastrecht. Es schließt die Pflicht der Versorgung mit Festmahlen ebenso ein wie das Asylrecht, das einem verfolgten Fremden gewährt wird. Afghanistan-Kenner Louis Dupree schreibt in seinem Buch „Afghanistan“, Blutrache und Gastrecht seien sogar verbindlicher als die Gebote des Koran. In diesen Tagen wird sich zeigen, ob Paschtunwali auch der Supermacht widersteht. BY