Ein Brötchen für tausend Mark

Die Versammlung der taz-Genossenschaft diskutiert die dramatische weltpolitische Lage und bleibt dabei selbst undramatisch

von REINHARD KRAUSE

Nicht alle Tage kommt es vor, dass ein gut belegtes Brötchen in viereinhalb Stunden einen Wertverlust von gut 22 Mark durchmacht. Um zwölf Uhr 15 hatte Bernd Pickert, Auslandsredakteur und Vorstandsmitglied, die Teilnehmer der Generalversammlung der taz-Verlagsgenossenschaft zum Catering gebeten. Dabei hatte er darauf hingewiesen, dass Nichtgenossen, die noch auf die Schnelle einen Genossenschaftsanteil zeichneten, dadurch nicht nur das Recht hätten mitzubestimmen, sondern auch mitzuessen: „Ein Brötchen für tausend Mark!“ Ein verlockendes Angebot, das tatsächlich von zwei NeugenossInnen genutzt wurde.

Punkt 16 Uhr 45 dann beantragte der taz-Aufsichtsrat, die Genossenschaftsanteile sollten nach der Euro-Einführung nur noch 500 Euro wert sein. Die Differenz solle nicht ausgeschüttet, sondern den Rücklagen zugeschlagen werden.

Gut, dass die Brötchen da schon gegessen waren. Der Antrag wurde bei drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen – die dramatischste Abstimmung an diesem Samstag, der von nahezu allumfassender Einmütigkeit geprägt war.

Schon das der Vollversammlung im Neuköllner „Ballhaus Rixdorf“ vorangestellte Plenum mit Beteiligung eines guten Dutzends von taz-Auslandskorrespondenten wurde vor allem zur Information genutzt: Wie stellt sich die politische Lage in Paris, in Jerusalem, in Moskau, in der EU nach den Terroranschlägen von New York und Washington dar? Von den GenossInnen gab es vor allem Lob, dass die taz schnell aus der Schreckstarre gefunden habe und auch der Frage nachgehe, wem die Anschläge letztendlich nützten.

Nach dem Snack wurden vor allem Zahlen gereicht. Geschäftsführer Kalle Ruch verlas den Bericht über das Geschäftsjahr 2000, das nicht nur von einer schweren Krise, sondern auch einer erfolgreichen Rettungskampagne gepägt war. Die hohe Quote von mehr als 80 Prozent AbonnentInnen berge, so Ruch, allerdings die Gefahr, dass der Einzelverkauf am Kiosk und damit die öffentliche Wahrnehmbarkeit der taz schwände.

Aufbruchstimmung vermittelten Mitarbeiter aus taz-Redaktion und Verlag bei der Präsentation der Herbstkampagne und dem neuen Berliner Lokalteil. Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur, stellte einen runderneuerten und vergrößerten Berlinteil vor, der am 23. Oktober an den Start gehen wird – mit täglich acht Seiten, vier davon Politik, vier Seiten „taz plan“, der neue Kultur-und Programmteil. Eine „politisch-kulturelle Orientierung“ will die taz liefern. „Mit taz berlin und taz plan geht man in Berlin nicht verloren“, sagte Unfried.

Die zukünftige AbonnentInnenwerbung präsentierte Stefan Kuzmany, interimsweise Redakteur für besondere Aufgaben. Die neue Kampagne (Start: Oktober) verbindet spielerischen Auftritt mit ernsthaften Inhalten. Dreh- und Angelpunkt ist das Wort „merkwürdig“. Nicht nur, fand Kuzmany, sei die taz eine merkwürdige Zeitung mit merkwürdig engagierten Mitarbeitern und Genossenschaftern, eigentlich stecke die ganze Welt voller Merk- und Denkwürdigkeiten. „Mädchen kriegen weniger Taschengeld als Jungen“, stellt eins der Postkartenmotive fest. Mancher mag keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Die taz findet das: „merkwürdig.“ Ein anderes lautet: „Roland Koch ist immer noch im Amt. Merkwürdig.“ Das genossenschaftliche Auditorium reagierte unmerkwürdig positiv bis begeistert.

Ob die taz-nrw ihr hoch gestecktes Ziel einer tägliche Regionalausgabe mit den Fenstern Köln und Ruhr ab September 2002 tatsächlich erreichen kann, vermochte am Ende der straffen und nahezu ohne Pause durchgeführten Vollversammlung wohl keiner der Berliner Teilnehmer zu prognostizieren. Sicher haften blieb die Wahrnehmung, dass es sich um zwei hoch motivierte und effektive Teams handelt – deren Honorare und Gehälter allerdings zum Teil seit Monaten nicht ausgezahlt werden konnten. Beim abschließenden Büffet war dann übrigens die Zugehörigkeitspflicht zur Genossenschaft aufgehoben. Häppchen für alle!