Ein neues Verhältnis zu Teheran

Der Iran soll mit in die Anti-Terror-Koalition genommen werden. Im Land selbst herrscht Anteilnahme mit den Anschlagsopfern. Demonstration trotz Verbots, Zurückhaltung der Prediger. Chatami für Dialog der Kulturen

BERLIN taz ■ Die Anschläge in den USA haben das Verhältnis des Westens zum Iran verändert: Am Montag sollte der britische Außenminister Jack Straw in Teheran eintreffen, als der höchstrangige Besucher aus Großbritannien seit der Islamischen Revolution 1979. Straws Besuch war eigentlich erst für November vorgesehen. Die Vorverlegung hat wohl den Zweck, den USA bei der Erstellung einer großen antiterroristischen Koalition zu helfen.

Am 18. September, eine Woche nach den Anschlägen, waren tausende Iraner trotz Verbots mit Kerzen durch die Straßen Teherans gezogen, um der Opfer der Terroranschläge in den USA zu gedenken. Das Innenministerium hatte die Kundgebung zunächst genehmigt, sie dann jedoch aus Sorge vor Zusammenstößen mit radikalen Islamisten verboten. Täglich besuchen viele Menschen die Schweizer Botschaft, in der auch die US-Vertretung untergebracht ist, und tragen sich in das Kondolenzbuch für die Opfer der Anschläge ein.

Zum ersten Mal seit der islamischen Revolution waren während des Freitagsgebets keine Rufe „Nieder mit den USA“ zu hören. Auch der konservative Freitagsprediger Imam Kaschani verurteilte die Angriffe. Den Anstoß für diese neue Entwicklung hatte der iranische Präsident Mohammad Chatami kurz nach den Anschlägen gegeben. „Gerade im Jahr des Dialogs zwischen den Zivilisationen und Kulturen wird der brutalste und wildeste Terrorakt ausgeführt“, hatte der Reformer in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan geschrieben. Diesmal unterstützt auch der konservative religöse Führer des Iran, Ajatollah Chamenei, nachdrücklich den Präsidenten. Er erklärte, die Ermordung von unschuldigen Menschen, egal ob Muslim oder Christ, sei zu verurteilen.

Die Gesten aus dem Iran beeindruckten besonders den amerikanischen Außenminister Colin Powell, der laut BBC jetzt eine Wiederaufnahme der Beziehungen zum Iran prüfen möchte – zumal er den Iran für eine Zusammenarbeit gegen die Taliban gewinnen will. Doch der Weg dorthin ist lang, denn die Situation birgt nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch Gefahren für iranische Interessen.

So löst die Erwartung eines eventuellen Vergeltungsanschlags der USA auf Afghanistan im Iran große Ängste aus. Chatami warnte in seinem Brief an Annan vor „hastigen und emotionalen“ Reaktionen und befürwortete eine „grundsätzliche und vernünftige“ Lösung. Ein solcher Schlag würde nicht nur vom Iran als Angriff auf ein islamisches Land betrachtet und daher abgelehnt, sondern er würde auch die östlichen Grenzen des Landes destabilisieren. Laut dem arabischen Satelliten-Fernsehen al-Jazira soll der iranische Ayatollah Makarem Schiraschi inzwischen vor einem Angriff gewarnt haben: Die islamische Welt werde nicht stillstehen in Bezug auf einen Angriff auf ein muslimisches Land.

Die amerikanische Drohungen haben bereits eine Flüchtlingswelle ausgelöst. Die Erfahrung mit über zwei Millionen afghanischen Flüchtlingen während der sowjetischen Okkupation veranlasste den Iran, seine etwa 900 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan abzuriegeln. Die Regierung hat sechs Auffanglager in der Grenzregion errichten lassen und das Ausland um Hilfe gebeten; bislang sind aber offenbar noch keine Flüchtlinge eingetroffen.

Unterdessen sprechen iranische Medien von einer „verstärkten Unterdrückung der Palästinenser“ durch israelisches Militär und bezeichnen dies als „Missbrauch der herrschenden Lage“. Chatami forderte den Vorsitzenden der Konferenz der islamischen Länder (OIC), den Emir von Katar, zur Einberufung einer Sondersitzung der Außenminister der Mitgliedstaaten auf.

Die neue Gemengelage könnte dem Iran helfen, durch eine Zusammenarbeit mit dem Westen das Image des „Schurkenstaates“ loszuwerden, der Terroristen unterstützt. Dieser Prozess wird aber dadurch erschwert, dass die Amerikaner bei ihrem Kampf gegen den Terrorismus auch das Thema „Hisbullah“ zur Sprache bringen werden, die der Iran unterstützt.

Im Gegensatz zu einigen Konservativen, die traditionsgemäß versuchen, die „Zionisten“ für die Terroranschläge in New York und Washington verantwortlich zu machen (die iranische Radio- und Fernsehanstalt hat eine Meldung der jemenitischen Zeitung Al Watan auf ihre Webseite gestellt, nach der angeblich 4.000 Israelis, die im World Trade Center arbeiteten, am 11. September nicht zur Arbeit kamen), haben einige Reformer Chatami vorgeschlagen, die Initiative zu ergreifen und als Befürworter eines Dialogs zwischen den Kulturen mit den USA Kontakt aufzunehmen und zu einer friedlichen Lösung der Krise beizutragen.

MOHAMMED REZA KAZEMI, ANT