Das Rondell-Modell

Ein Runder Tisch in Steilshoop scheitert: Die Penner und Säufer sollen verschwinden  ■ Von Markus Flohr

Die letzte Bierdose passt nicht mehr. Das Ding ist einfach zu voll. Walter beugt sich über den Abfalleimer, beinahe fällt ihm seine übergroße Sonnenbrille in den Dreck. „Für die Dosen hatten wir einen blauen Sack, als wir noch am Rondell saßen“, sagt er und gibt dem Weißblech einen Knuff mit der Faust. Er drückt fester zu. Eine leere Papp-Palette hat sich quer über die Öffnung der Abfallbox gelegt. Vor einer Woche trafen sich Walter und seine Freunde noch woanders. Am Rondell, einer halbrunden Sitzecke zwei Straßen weiter, am Schreyerring in Hamburg-Steilshoop. Dort saßen sie, mal zu dritt, mal mit dreißig „Kollegen“.

Aber dort sind sie nicht mehr erwünscht. Es flogen Eier, Zwiebeln und Wasserbomben. Die Schluckspechte seien seit einigen Monaten nicht mehr zu ertragen, beschweren sich die Anwohner. Und weiter: „Sie brüllen durch die Gegend und pöbeln, ihre Hunde bellen zu laut. Hier gibt es Menschen, die freuen sich, wenn es regnet. Denn dann sind die Säufer nicht da.“

Walter kennt diese Sprüche. Er steckt sich eine Zigarette an, schiebt seine Brille zurecht. „Irgendwo musste ich doch hin, dann hab ich halt am Rondell mein Bierchen getrunken. Und mich mit den anderen getroffen. Das war oft richtig lustig da.“

Die Steilshooper können da-rüber nicht lachen. „Die sollen hier weg“ sagen die Menschen aus den Steilshooper Betonburgen. „P-E-N-N-E-R“ buchstabiert Wolf-Dieter Scheurell, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter mit Büro am Schreyerring. Schon zum zweiten Mal trifft man sich zum „Runden Tisch Rondell“. Heute sind auch Politik und Polizei da. Alle dreißig Stühle sind besetzt. Horst Hussfeldt, 52, ein Amateurfunker, führt das Wort. Er legt seine Stirn in Falten und wirkt leicht resigniert. Polizeischutz habe er bestellen müssen, da ein Rondellbesucher mit Gewalt gedroht hatte, klagt der Familienvater. Irgend jemand aus der Nachbarschaft hatte mit Eiern auf die Sitzgruppe geworfen, als Hussfeldts Frau gerade auf dem Balkon stand. Ein dummer Zufall. Seitdem traut er sich nicht mehr vor die Tür. „Nachts schlafe ich oft bei dem Lärm im Rondell nur fünf Stunden“, stöhnt der Steilshooper, „auf die Dauer klappe ich davon zusammen.“ Eine weitere Falte gräbt sich in seine Stirn.

Scheurell zuckt mit den Schultern. Um die Schamgrenze für „die“, also Walter und seine Freunde, zu senken, habe er doch schon den Rasen gemäht. Damit „die“ nicht in die Büsche pinkeln. Doch das reicht Hussfeldt nicht und seine hellweißen Haare stehen zu Berge. Zu oft schon hat er sich abwiegeln lassen. „Aber ich kann mich doch nicht mit der Peitsche hierhin stellen und die wegjagen, wir sind hier nicht in Af-ghanistan“, beteuert Scheurell und schlägt vor, eine Unterschriftenliste anzulegen. Er erntet Schweigen.

„Nur die Alkoholikergruppe hat hier Rechte“, beschwert sich eine Frau. Und ihr Mann wird praktisch: „Den Besuffskis sollte man die Sozialhilfe bis auf ein Minimum kürzen und den Kiosk am Schreyerring, den sollte man schließen und ...“, er holt Luft, „...die Säufer tro-cken legen.“ Sein Kopf ist knallrot. Keine andere Lösung sei akzeptabel, die „Penner“ müssten einfach „raus“ oder zumindest „weg“.

Raus aus dem Halbkreis, in dem die Anwohner lieber ihre Kinder spielen sähen. Weg von dem Apotheker gegenüber, der sich schon über Gewinneinbußen beschwert. Aber wohin? Neben die leerstehende Ladenfläche, die mit den eingeschlagenen Fenstern? In das griechische Restaurant hinter der Apotheke?

„Verwöhnen Sie sich mal so richtig“, lädt der Aufsteller vor der Tür ein. Drinnen: leere Tische, leere Stühle. „Wir haben viel Platz“, beteuert der Wirt, „auch für Gruppen.“ Aber nicht für Walter und seine Freunde. „Jeden Tag in die Kneipe ist eben zu teuer“, sagt Walter.

Für ihn ist der Zorn der Anwohner über die Clique im Rondell unverständlich. „Wir hatten sogar unseren eigenen Besen da, mit dem haben wir dann den Dreck weg gemacht. Wenn die Polizei mal da war, hatte ich nichts damit zu tun. Zuhause fällt mir halt die Decke auf den Kopf.“ Am Rondell sind es Eier. „Früher habe ich auch gearbeitet, heute will mich keiner mehr, zu alt.“ Oder zu laut? Überhaupt, wenn sich seine Frau nicht hätte scheiden lassen, wäre er nie hier gelandet. Walter hält inne und nimmt die Brille ab. Darunter verbirgt sich ein riesiges Veilchen, rot und blau angeschwollen. Eier, Zwiebeln, Wasserbombe? „Haushaltsunfall, ich bin heute Morgen in der Küche irgendwie umgekippt.“ Nervös schaut er zu Boden und sucht nach seinen Zigaretten.

Jetzt steht Walter jedenfalls am Gemeindehaus der Martin-Luther-King-Gemeinde. Er hat keinen blauen Beutel und keinen Besen dabei. Aber im Gemeindehaus gibt es ein öffentliches Klo. Walter beschwert sich, dass Leute hier ins Gebüsch pinkeln. „Das muss doch nicht sein“, sagt er. Bis auf weiteres wollen er und seine Kumpane hier bleiben. Bis die Anwohner murren und nach der harten Hand rufen. Bis die erste Zwiebel fliegt.