Fragmente einer Sprache der Liebe

Politische und musikalische Gründe: Blumfeld in der Großen Freiheit  ■ Von Roger Behrens

Als vor wenigen Monaten Blumfeld mit ihrer Vorabsingle „Graue Wolken“ eher besinnliche und gefühlige Töne anstimmten, schien innerhalb der ansonsten diskursfreudigen Poplinken kaum jemand wirklich überrascht gewesen zu sein; die große Debatte, ob das denn noch geht, blieb aus. Bereits das Album Old Nobody hatte vor zweieinhalb Jahren die Traditionalisten unter den Fans als zu große Konzession an den Mainstream verstört – sie kehrten zum Hardcore zurück. Andere interpretierten den neuen Sound als gelungenes Experiment linker Popmusik in Zeiten, die weder für die Linke noch für den Pop günstig seien; „Graue Wolken“ und schließlich das Album Testament der Angst wären dann eine notwendige Konsequenz.

Dass Blumfeld sich mit ihrer zweiten Platte in der Besetzung Jochen Distelmeyer, Peter Thiessen, Michael Mühlhaus und Andre Rattay noch weiter in das Zentrum kommerzieller und radiotauglicher Popmusik vorwagen, ist kein Alleingang, auch wenn Musik und Texte weitgehend Sache von Dis-telmeyer bleiben, die Band sich im Booklet smart und adrett präsentiert, die Texte sich wieder verstärkt um das alte Menetekel der Hamburger Schule namens Ich drehen: Als Schattenriss ist auf dem Cover Ted Gaier von den Goldenen Zitronen zu sehen; und gerade in Hamburg bleiben die Blumfeld-Musiker einer pop-politischen Szene verpflichtet – der andere, die sich jetzt über die vermeintliche Schlagermusik von Blumfeld echauffieren, längst abgeschworen haben.

Das Konzept geht auf; ob es auch musikalisch einlöst, was es verspricht, ist Geschmackssache. Wo seit dem Wochenende der politische Wind in Hamburg zum rechten Sturm zu drehen droht, haben Blumfeld mit „Diktatur der Angepassten“ den angemessenen Soundtrack geliefert. Manche monieren das Parolenhafte der Texte; doch macht sich da auch eine erfrischende Wende bemerkbar: von Benn weg hin zu Brecht. Blumfeld wagen, was politisch bislang fehlt: mit den Mitteln der Popmusik einen linken Populismus zu formulieren. Schon vor Jahren gab es Blumfeld-T-Shirts mit der Grafik urbaner Sicherheitszonen aus Mike Davis Ecology of Fear, nun wird mit Testament der Angst gezeigt, dass es auch ein linkes Sicherheitsproblem gibt: Es ist die Angst, dass die Strukturen wegbrechen, das Umfeld verschwindet: „Wir werden nicht bestehen, die Welt wird untergehen.“ Das zentrale Motiv ist – auch dies übrigens Brecht'sch zu denken – Liebe, die als verletzbares Glücksversprechen die ganze Musik durchzieht und eben auch die grauen Wolken meint. Mit Roland Barthes lässt sich dies lesen als weitere Fragmente einer Sprache der Liebe: „Gleichwohl gibt es auch subtilere Wolken; alle schwachen Schatten, die, aus flüchtigem, unbestimmtem Anlass, auf die Beziehung fallen, verändern die Beleuchtung, das Relief; plötzlich taucht da eine andere Landschaft auf, eine leichte Bewusstseins-trübung. Die Wolke ist dann nurmehr jenes etwas fehlt mir.“ Aus diesem „Etwas fehlt“ – wieder Brecht – weben sich bei Blumfeld die filigranen Verknüpfungen aus Liebe und Politik: „Was für ein herrliches Leiden!“

Das klingt auf der schon fast zu glatt produzierten Platte anders als im Konzert; der Studiosound hat sich mit den letzten beiden Alben mehr und mehr vom Klang der Bühne entfernt, und auch der Livesound hat sich nicht zuletzt durch das Keyboard verändert. Das bringt den nötigen Schritt in die Dialektik, in der Blumfeld sich zwischen Indierock und Mainstream bewegen: Im Konzert wird aus dem christlichen Schuldbekenntnis von Testament der Angst eine kommunistische Selbstkritik. Dazu gehört auch, sich die Vorgruppen selbst auszusuchen und so Kontraste zu setzen, Korrekturen zuzulassen. Heute Abend sind Parole Trixie Vorprogramm; ihnen fehlt, was bei dem Hauptakt bisweilen etwas zu aufdringlich daherkommt: Pathos. Und gerade wenn es um so schöne Angelegenheiten wie Liebe geht, sollte darauf verzichtet werden. Das wissen Parole Trixie, die mit ihrer Musik jene Gegenakzente setzen, die gewissermaßen das Testament der Angst anfechten: aus politischen, nicht musikalischen Gründen.

mit Parole Trixie: Donnerstag, 21 Uhr, Große Freiheit 36