Soweto und anderswo

Eine Ausstellung mit Fotos aus Südafrika  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Wie kann ein Fotograf die Realität eines einzigartigen Herrschaftssystems dokumentieren und denjenigen vermitteln, die davon nur rudimentäre Kenntnisse haben? Müssen solche Fotos nicht zwangsläufig auf ein universell bekanntes Leiden setzen, dasjenige, das in schmerzverzerrten menschlichen Gesichtern, in dem Blut von Opfern, in Toten manifest wird? Eine Ausstellung südafrikanischer Fotos aus den letzten 50 Jahren mit Schwerpunkt auf dem 25 Jahre zurückliegenden Schüleraufstand von Soweto gegen das Apartheidregime gibt derzeit Gelegenheit zum Betrachten einer solcherart engagierten Fotografie.

In eine Frontstellung gegen die Regierung der Buren brachten sich die Fotografen allein schon, wenn sie überhaupt Aufnahmen machten von den Lebensbedingungen der schwarzen Mehrheit: zwangsumgesiedelt in den späten 50er Jahren aus zum Teil gemischten Vierteln in die Peripherie der Städte, in die so genannten Townships, auch dort nur geduldet, solange sie Arbeit vorweisen konnten; wo ihre Jugend gerade so viel Schulunterricht bekam, dass sie in Zukunft Befehle und Anweisungen bei der Arbeit würde befolgen können.

Als 1976 plötzlich Afrikaans, die Sprache der Buren, statt Englisch Schulsprache werden und die Schwarzen noch mehr in ein Helotendasein zwingen sollte, demons-trierten in Soweto spontan 15.000 Schüler und Schülerinnen. Die Polizei hielt drauf, zunächst mit Hunden, dann mit Tränengas, bald da-rauf mit scharfer Munition. Das Foto vom ersten Toten auf den Armen seines Freundes, eine trauernde Schwester daneben, ging damals um die Welt. Aufgenommen hatte es Sam Nzima, dafür staatlich verfolgt, zog er sich später aus der Fotografie zurück.

Viele der Fotos messen die Repression an ihren blutigen Folgen ab. Sie sind dabei so spektakulär, wie es nötig schien, um aufzurütteln, und gleichzeitig so nüchtern, wie es die Vermittlung von Alltäglichkeit erfordert. Die Parteinahme der Fotografen äußert sich aber ebenso in der Registrierung ganz anderer Szenen – und das gilt sowohl für die älteren unter ihnen, wie Henna Frankenfeld oder Ernest Cole, als auch für die der jüngeren Generation, etwa Victor Matom und Ruth Motau: Immer, das macht die Ausstellung sehr deutlich, verraten sie auch etwas von einem pulsierenden Leben, von einem schwer zu brechenden Selbstbewusstsein der Leute in den schwarzen Siedlungen.

Der niedergeschlagene Aufstand von 1976 gilt heute noch als Beginn des langen Kampfs, der Anfang der 90er den Sieg über die Herrschaft der Apartheid erringen konnte. Allerdings will in Südafrika bis heute kaum jemand den Bildern ins Auge sehen. Erst vor kurzem, sieben Jahre nach der neuen südafrikanischen Verfassung, waren sie in einer ähnlichen Zusammenstellung, wie jetzt im Leo Lippmann-Saal der Finanzbehörde, in Soweto ausgestellt. Dort kämpft die neue Regierung inzwischen verzweifelt um ihr Ansehen. Die Jugendlichen sollten weniger Kwaito – die südafrikanische Variante von House – hören und sich mehr für Politik interessieren, empfahl kürzlich Thabo Mbeki dem zu 70 Prozent von Arbeitslosigkeit bedrohten schwarzen Nachwuchs Südafrikas, der zum Teil buchstäblich im – freilich englischsprachigen – Unterricht vor Hunger umfällt. Dort mag eine solche Fotoausstellung zum Nachdenken bringen darüber, ob es sich nicht vielleicht trotzdem gelohnt hat, gegen die Buren zu kämpfen. Aber auch andernorts, wie hier in Hamburg, schärfen die Fotos nicht zuletzt den Blick für Südafrikas Vergangenheit, deren Spuren bis heute – das belegen zahlreiche Fotos aus den 90er Jahren – zu finden sind. Zwei der Forderungen der Veranstalter sind deshalb Reparationszahlungen deutscher Firmen, die von der Apartheid profitiert haben, und ein Erlass der immens hohen Auslandsschulden Südafrikas aus der Zeit vor 1994.

Mit dem Ende des Apartheidregimes entschieden sich die meisten Fotografen zur Farbe. Und es scheint, als sei ihnen ein wolkenloser Himmel zur Voraussetzung zum Abdrücken geworden: Viele der Fotos wirken stilisiert, bringen die Farben übermäßig zum Leuchten. Derart aufgenommen erscheint sogar die Wellblechhüttensiedlung idyllisch. Andere bleiben dem nüchternen Blick der früheren Fotografien treu. Doch in solchen Unterschieden drückt sich auch etwas von dem Ringen um eine neue Form der Parteinahme aus.

wochentags 10–17 Uhr, Leo Lippmann-Saal, Finanzbehörde am Gänsemarkt, bis zum 12.10., Katalog 39 Mark; am Mo, 1.10., startet im Metropolis eine Reihe mit Filmen aus und über Südafrika; weitere Infos: www.ewnwhamburg.de