„Der beste Mann für den Job“

Viele New Yorker schrieben am Dienstag bei den „primaries“ zu den Bürgermeisterwahlen einfach einen weiteren Namen auf ihren Zettel: „Rudi“

aus New York DAVID SCHRAVEN

Wird er antreten oder wird er nicht? Gemeint ist Rudolph „Rudi“ Giuliani, amtierender Bürgermeister von New York. Auf den Wahlzetteln der Republikaner stand er nicht, als Demokraten und Republikaner vorgestern bei den Vorwahlen ihre Kandidaten für die Bürgermeisterwahl vom 6. November bestimmten. Der Grund: Giuliani darf nach zwei Amtsperioden kein drittes Mal antreten. Das Gesetz, das die Amtszeiten beschränkt, war erst Anfang der Neunzigerjahre verabschiedet worden – nicht zuletzt auf Drängen Giulianis.

Im Grunde stellte sich also die Frage gar nicht, wäre der 57-Jährige durch seinen Einsatz nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center nicht derzeit der mit Abstand beliebteste Politiker New Yorks. Die Vorwahlen, die wegen der Ereignisse vom 11. September auf letzten Dienstag verschoben werden mussten, standen ganz im Zeichen des gestiegenen Ansehens des Bürgermeisters. Von den Kandidaten, die eigentlich zur Wahl standen, redete kaum jemand. Bei den Republikanern setzte sich der Medienunternehmer Michael Bloomberg gegen den früheren Kongressabgeordneten Herman Badillo durch, bei den Demokraten kommt es voraussichtlich am 11. Oktober zu einer Stichwahl: Weder der Verwaltungschef des New Yorker Stadtteils Bronx, Fernando Ferrer, noch sein Rivale, der Bürgeranwalt Mark Green, erreichte den erforderlichen Stimmenanteil von 40 Prozent.

Als Giuliani am Abend vor den primaries vom Dienstag in die David Letterman Show kam, spendete ihm das Publikum spontan Standing Ovations. Letterman, der Harald Schmidt der USA, ging schweigend aus dem Bild. Giuliani schaute in die Runde, seine Hände verschwanden in den Taschen, dann hielt er sie vor dem Bauch. Drehte sich um zu Letterman. Der nickte nur freundlich und klatschte. „Dein Applaus“, wollte er damit sagen.

Politiker aller Parteien denken inzwischen so laut darüber nach, ob man das Amtszeitgesetz wieder abschaffen soll, dass es schon auf der ersten Seite der New York Times stand. In einer Umfrage des Fernsehsenders CBS sind 40 Prozent der New Yorker dafür, eine entsprechende Lex Giuliani zu verabschieben. 52 Prozent halten noch dagegen. Der Parteifreund des „Felsens von New York“ (New York Post) und Gouverneur des Bundesstaates New York, George Petaki, hatte die Wähler aufgerufen, kurzerhand den Namen Giuliani auf die Wahlzettel dazu zu schreiben. „Wenn ich Sie wäre, würde ich es tun“, sagte Petaki. Mindestens 15 Prozent der Wähler sollten am Dienstag seinen Aufruf befolgen.

Vor vier Wochen sah das noch anders aus. Der an Prostatakrebs erkrankte Giuliani hatte abgewirtschaftet. Die Zustimmung zu seiner Amtsführung war auf magere 50 Prozent gesunken. Und eine Mehrheit freute sich auf einen neuen Bürgermeister, dem Giuliani am 31. Dezember sein Amt übergeben muss. Zu tief saß der Ärger bei den Schwarzen, Asiaten und Latinos über die knallharte Polizeipolitik des Enkels italienischer Einwanderer. Zwar war die Kriminalität durch Giulianis Null-Toleranz-Politik auf ein Rekordtief gesunken, wie Anhänger des Bürgermeisters meinen. Aber Führer der Minderheiten wie der afroamerikanische Aktivist Al Sharpton sahen in dessen Politik die Ursache einer Reihe von Polizeiskandalen. Schwarze, Latinos und Asiaten stellen zusammen über 60 Prozent der Einwohner der Metropole.

Auch bei der weißen Mittelschicht hatte Giuliani an Unterstützung verloren. Zuletzt durch den Rosenkrieg mit seiner mittlerweile von ihm geschiedenen Ehefrau Donna Hanover. Auch dass Giuliani zwischenzeitlich bei homosexuellen Nachbarn Unterschlupf fand, kam in diesem Milieu nicht gut an.

Die Anschläge auf das World Trade Center brachten eine dramatische Wende. Der Bürgermeister war omnipräsent, stand mit schmutzigem Hemd bei den Feuerwehrleuten und Polizisten. Organisierte ein Notstandskomitee. Suchte in Pressekonferenzen nach Worten der Trauer und des Zuspruchs. Er wurde als Mensch erkennbar. Nach Tagen war die Urlaubsbräune verflogen. Seine Haut bekam einen blässlichen Glanz. Im Scheinwerferlicht schienen die Ringe unter seinen Augen noch schwärzer und die Falten tiefer. Ein liebender Großvater, der für die Stadt leidet.

Bei einigen Wählern ist Giuliani absoluter Favorit. Ein weißhaariger Mann kam am Dienstag aus der Wahlkabine in der Upper East Side von Manhattan. „Ich habe Rudi auf den Wahlzettel geschrieben.“ Warum? „Rudi ist der beste Mann für den Job. Besser als alle anderen auf dem Zettel. Schließlich hat er als Bürgermeister die schlimmste Krise in der Geschichte der Stadt gemeistert.“