Lady Liberty wird Reklamedame

„Zeige deinen amerikanischen Stolz“: Die US-Werbebranche versucht, die hohen Verluste nach dem Terroranschlag durch patriotische Anzeigen und Spendenaufrufe wieder auszugleichen. Und nach internen Prognosen wird es ihr sogar gelingen

aus New York DAVID SCHRAVEN

Die Liberty-Statue hat die Tafel mit den Bürgerrechten und das Licht der Freiheit weggelegt. Eine steile Falte spaltet ihre Stirn. Sie krempelt die Ärmel hoch – bereit zuzuschlagen. Es ist eine patriotische Zeitungsanzeige, eine Seite groß. Erschienen in allen wichtigen Blättern der USA. Bezahlt vom 32-Milliarden-Dollar-Umsatz-Konzern General Electric.

Drei Wochen nach den verheerenden Terroranschlägen auf das World Trade Center hagelt es solche Anzeigen. Die Handelskette 7-Eleven hat eine ganzseitige vierfarbige Anzeige in dem landesweit erscheinenden Blatt USA Today geschaltet: Eine US-Flagge, unterzeichnet mit der Parole „Zeige deinen amerikanischen Stolz“. Ein Radiospot will Medizin verkaufen. Es wird 24 Sekunden das Lied „God bless America“ angespielt, dann sagt eine männlich-raue Stimme: „Help us support America ... CVS/pharmacy.“

Die meisten Anzeigen sind einfache Kondolenzanzeigen. Schwarzer Rahmen, viel Weißfläche, kleine Buchstaben. So bedauert American Express auf seiner gekauften Seite drei Absätze lang die Opfer, um im vierten Absatz zu versichern: „Ihr Geld ist bei uns sicher.“ Andere Firmen werben mit Spenden. Die Universal Auto Group verspricht, 500 Dollar an jede Hinterbliebenenfamilie der Twin Towers Opfer zu zahlen – für jeden bei ihnen gekauften Gebrauchtwagen. Großkonzerne schließen sich der Spendenwelle an. In Fernsehspots verkünden die Vorstandschefs die Millionenspenden vor wehenden Fahnen.

In den ersten Tagen nach den Anschlägen war das US-Anzeigengeschäft zusammengebrochen. Die Fernsehsender brachten ununterbrochen auf allen Kanälen Nachrichten. Countryradios im mittleren Westen berichteten live aus New York. Die US-Zeitungen waren voller Schreckensmeldungen. Kein gutes Werbeumfeld. Oder wie Rich Hamilton, Chef der Medienagentur Zenith Media, in New York sagt: „Ein guter Teil der Nachrichten war inspirierend, aber ein Teil war tragisch. Und das ist etwas, mit dem unsere Kunden einfach nicht verbunden werden möchten.“ Die Agenturen haben noch am Tag des Unglücks Anzeigen gestoppt. Nicht alle waren schnell genug. So musste der Chemieriese Procter & Gamble hinnehmen, dass die Anzeige seiner Waschlotion „Olay Total Effects“ am Montag im People Magazin erschien. Das Blatt hatte seine komplette Ausgabe der Katastrophe gewidmet. Der Slogan der Anzeige ist: „Warum einfach den Tag abwaschen, wenn du Jahre abwaschen kannst.“

Erst nach und nach haben sich die Firmen wieder getraut, zu werben. Niemand wollte der Erste sein, der wieder ans Geschäft denkt. Dann erschien am Samstag nach den Anschlägen die erste patriotische Anzeige: Ein Kondolenzschreiben der Investmentbank March. Andere Firmen zogen nach. „Es ist eine Welle. So was hab ich noch nicht erlebt“, sagt Jyll Holzman, Anzeigenleiterin der New York Times. In den vier reklamefreien Tagen gingen der US-Medienindustrie nach Branchenschätzungen rund 1,2 Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen verloren. Leland Westerfield, Analyst bei der Investmentbank UBS Warburg in New York, rechnet in der Folge der Katastrophe mit einem um fünf Prozent verkleinerten Werbekuchen im Vergleich zum Vorjahr.

Am schwersten ist das Geschäft mit Fluggesellschaften und Tourismusunternehmen betroffen – hier bucht kaum noch jemand Anzeigenraum. John Ancona, Anzeigenchef beim Boulevardblatt New York Post, sagt: „Wir wissen nicht, wann und ob sich diese Branche wieder erholen wird.“ Trotzdem kein Grund, traurig zu sein. „Die patriotischen Anzeigen gleichen die Verluste locker aus.“