Es sieht gar nicht gut aus

Der Kachelwettbewerb beweist: Das Böse ist fraktal, floral, faunal und international

Wir sind ehrlich erschüttert. Nicht überrascht, das nicht. Wir wussten schließlich, dass das Böse unter uns ist. Aber was die Wahrheit-Leser da einsandten, übersteigt alle Vorstellungskraft und Befürchtungen. Das Böse ist einfach unglaublich. Bevor wir zu seiner Auswertung und zur Preisverleihung kommen, möchte ich deshalb allen Einsendern mein tiefstes Mitgefühl aussprechen. Und ihnen versichern, dass ich mit keinem von ihnen würde tauschen wollen. Gut also, dass wir es ihnen gezeigt haben, den Kacheln: Wir haben sie vorgeführt – und ausgelacht. Das mag das Böse überhaupt nicht.

Soviel zur pädagogisch-therapeutischen Seite unseres Kachelwettbewerbs. Getröstet können wir uns nun der ästhetisch-moralischen Bewertung des Bösen zuwenden. Es arbeitet im Wesentlichen mit einer der drei Haupttechniken „Grafik“, „Ornamentik“ und „Freestyle“. Diese werden mittels mindestens einer der beiden Untertechniken „gezielte Überfrachtung“ und „sinnlose Farbgebung“ ins Werk gesetzt. Gern werden sämtliche Haupt- und Untertechniken auch miteinander kombiniert, hat ja bisher noch keiner verboten. Aber der Reihe nach.

„Grafik“ gilt dem Bösen als Synonym für modern – und uns als seine gefährlichste Variante. Sie tritt fast zwingend seriell auf, d. h. als bis zum Erbrechen aneinander gereihte, in sich gern mehrfach fraktal verschachtelte eckige oder runde Muster (Bild 1, Platz 4). Ein „grafisch“ gestaltetes Bad macht aggressiv, viele Einsender klagen deshalb über Anfälle von „Wut auf Sachen“.

Mit „Ornamentik“ will sich das Böse den Anschein des Seriösen, Edlen und Dezenten verschaffen. Was ihm allerdings nie gelingt, weil die ahnungsfreien Anleihen bei historisierenden Schlossherrenkringeln nie über Bordürenoptik oder Lüftlmalerei (Bild 5, Platz 5) hinaus kommen. Betroffene Badbenutzer klagen in der Hauptsache über Müdigkeit und Antriebsarmut.

Im „Freestyle“ gibt es, wie der Name schon sagt, überhaupt kein Halten mehr: Das Böse kommt uns hier floral und faunal sowie pastos. Uni bedeutet grundsätzlich: wolkig. Auf die Wände verteilte Blumengebinde, Reiher in teigigen Schilflandschaften und reliefgestützte Delphine zwangspromovieren noch jede Duschecke zu einem Themenbad. Das Böse will uns damit zur Identifikation mit dem Niedlichen verleiten. Wie die „Ornamentik“ steht auch der „Freestyle“ deshalb zu Recht unter Gemütlichkeitsverdacht. Viele Freestyle-Badezimmerinhaber bekennen, mehrfach Geld für „passende Accessoires“ ausgegeben zu haben, etwa für Handtücher mit Entenaufdruck.

Nach diesen Befunden dürfte klar sein, wie schwer es fiel, das Allerböseste zu ermitteln. Theoretisch. Denn praktisch erwies sich das Böse als wirkungsmächtig: Nach Ausbreiten der abgelichteten Scheußlichkeiten (mit Sonnenbrille) besorgte der Sog des Bösen die Auswahl von fünf Favoriten wie von selbst. Bei deren näherer Prüfung ergab sich, dass das Böse seinen Höllenradius ausdehnt. So entpuppte sich ein Favorit als keine Badezimmer-, sondern eine Treppenhauskachel, deren besondere Bösartigkeit sich allerdings aus der Kombination mit einer Fototapete ergibt (Bild 4). Es kann aber nicht gewinnen, weil sich der Einsender am Treppengeländer mühelos mit geschlossenen Augen an der Gefahrenstelle vorbei hangeln kann. Trotzdem: Platz 2. Ein weiterer Favorit (Bild 3) ist gar keine echte Kachel, sondern eine Kachelimitattapete und hängt in einem Flur. Kann man sich etwas Perfideres denken? Ist das also der Gewinner? Nein, nur Platz 3. Schließlich kann der Einsender die Tapete, sogar ohne den Vermieter zu fragen, überstreichen.

Als finales Leitkriterium zur Ermittlung des Allerbösesten unter den drei verbliebenen Favoriten schälte sich schließlich die Kernfrage heraus: Welche Kachel macht am meisten Angst? And the winner is: die Kacheln, die Wolfgang Thiessen in einer Lissaboner Pension sah (Bild 2). Sie zeugen vom internationalen Operieren des Bösen, dem man nie und nirgends entkommen kann, nicht mal in den Ferien. Farben und Formen verbinden sich hier in selten gesehener Unseligkeit zu einer gesundheitsschädlichen Ornamentik, die in ihrer Rohrschachhaftigkeit direkt auf unser Unterbewusstsein zielt. Wer mit solchen Kacheln leben muss, sieht bald überall nur noch Kaninchen und nackte Frauen – in Komablau, Inkontinenzbraun und Rheumacremefarben.

Der Preis, ein Comic-Strip von ©Tom auf Kacheln, wird dem Gewinner nach abgeschlossenem Brennvorgang zugesandt – als Trost für den erlittenen Schock.

BARBARA HÄUSLER