Schwere Krawalle in Nordirland

In Belfast liefert sich paramilitärische protestantische Gruppe Schlacht mit der Polizei. Polizeichef spricht von schlimmster Gewalt seit 30 Jahren, will aber nicht gegen Loyalisten vorgehen müssen. Die sprechen von Überreaktion der Polizei

aus Dublin RALF SOTSCHECK

In der nordirischen Hauptstadt Belfast ist es in der Nacht zu gestern erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Mitgliedern protestantisch-loyalistischer Organisationen und der Polizei gekommen. Über hundert Molotowcocktails und eine Reihe von Rohrbomben explodierten, sieben Schüsse wurden auf die Polizei abgefeuert, 13 Beamte erlitten Verletzungen. Es begann mit Einbruch der Dunkelheit um 21 Uhr, als 500 Protestanten die Polizei mit Feuerwerkskörpern und Steinen in der Crumlin Road in Nordbelfast angriffen. Innerhalb einer Stunde eskalierte die Situation.

Bereits in der Nacht zuvor war es an derselben Stelle zu Krawallen gekommen. Ein Panzerwagen der Polizei kam unter Feuer aus einer Maschinenpistole, mindestens 50 Schüsse wurden abgegeben. Die Polizei setzte Plastikgeschosse ein, um zu verhindern, dass die Gruppe von 600 Protestanten in das benachbarte katholische Ardoyne-Viertel eindrang.

Ronnie Flanagan, Chef der zu 93 Prozent protestantischen Polizei, machte die protestantische paramilitärische Gruppe der Ulster Defence Association (UDA), die sich offiziell im Waffenstillstand befindet, für die Straßenschlacht verantwortlich. „Waffen, Molotowcocktails und Rohrbomben sind bei solchen Krawallen nicht spontan zur Hand, wenn keine paramilitärischen Organisationen beteiligt sind“, sagte er. Er habe seit Ausbruch des nordirischen Konflikts vor mehr als 30 Jahren keine schlimmeren Auseinandersetzungen erlebt. „Den Leuten muss klar sein, dass dabei nur eins herauskommen kann: der Verlust von Menschenleben“, sagte er.

Flanagan fügte hinzu, die Regierung solle den UDA-Waffenstillstand nicht als beendet einstufen. Denn dann müsste die Polizei gegen die UDA vorgehen, was die Lage verschärfen würde. Der politische Flügel der UDA gab der Polizei die Schuld an den Krawallen. Die Beamten hätten überreagiert. Ein Sprecher sagte, hundert Frauen hätten friedlich gegen den Überfall auf einen protestantischen Anwohner protestiert, als die Polizei mit Schlagstöcken losschlug. Flanagan nannte dies „das Blödsinnigste, das ich je gehört“ habe.

Nordbelfast, wo katholische und protestantische Viertel wie ein Flickenteppich angelegt sind, steht seit Monaten, wenn nicht Jahren, im Brennpunkt der Auseinandersetzungen. In den vergangenen 30 Jahren ist ein Fünftel aller politischen Morde auf diesem eng umgrenzten Gebiet verübt worden.

In den letzten Wochen haben sich die Unruhen verschärft. Seit Schulbeginn Anfang des Monats werden die Mädchen der katholischen Holy-Cross-Grundschule täglich auf ihrem Schulweg von protestantischen Gruppen beschimpft, weil sie 300 Meter durch ein protestantisches Viertel laufen müssen. Das machte anfangs Schlagzeilen, doch die Attacken gehen unvermindert weiter.

Die Auseinandersetzungen machen es immer unwahrscheinlicher, dass die katholische Irisch-Republikanische Armee (IRA) in absehbarer Zeit ihre Waffen abgeben wird. Der britische Nordirlandminister John Reid hatte voriges Wochenende das nordirische Regionalparlament erneut für einen Tag suspendiert, um eine weitere sechswöchige Frist für die Einsetzung eines Premierministers herauszuschinden. Unionistenchef David Trimble war Anfang Juli von diesem Posten zurückgetreten, weil es keine Bewegung in der IRA-Abrüstungsfrage gab.

Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, hält an diesem Wochenende einen Parteitag in Dublin ab. Zu den Rednern zählen Vertreter der palästinensischen PLO, der baskischen ETA und des südafrikanischen ANC. Die Waffenfrage steht jedoch im Hintergrund. Die 2.000 Delegierten werden vor allem darüber debattieren, ob ihre Partei nach den im Frühjahr erwarteten Wahlen in der Republik Irland eine Koalition mit der konservativen Fianna Fáil, den „Soldaten des Schicksals“, eingehen soll.