In Bausch und Flausch

Von Teenagerherzen in hübsch ausgestattete Teenagerhöllen und sofort wieder zurück: Die französische Band Air bewies in der Columbiahalle, dass nicht alle Tage ein Leben in perfekten Harmonien möglich ist und auch Albträume ihre guten Seiten haben

von GERRIT BARTELS

Der erste Eindruck an diesem Abend ist der, dass man während des Konzerts nicht unbedingt was sehen braucht von den Musikern auf der Bühne. Das liegt am Wesen der Musik der französischen Band Air, die mehr was zum Zuhören als zum aktiven Mitmachen ist, deren Funken nicht gerade durch das Charisma ihrer Produzenten übertragen wird; und die, so dachte man sich das vorher, mit Vorurteilen lässt es sich leider leichter durchs Leben wandeln, sowieso besser zu Hause oder in der Lounge funktionert als im Rahmen einer mit 3.500 Leuten restlos ausverkauften Columbiahalle.

Das liegt aber vor allem daran, dass man zu Beginn des Konzerts an Auftritte von Kraftwerk oder zuletzt Ladytron denken muss: Fünf Musiker, alle im gleichen Outfit, schwarzes Seidenhemd, schwarze Hose und klasse Seventies-Haarschnitte – ja, Air sehen so aus, als würden sie noch immer trauern um die fünf Mädchen aus Sofia Coppolas Film „The Virgin Suicides“, zu dem sie vor zwei Jahren den Soundtrack gebastelt haben. Fünf Musiker, die reichlich statisch ihre Instrumente bedienen und nur schwer von ihren zahlreichen Keyboard-Aufbauten zu trennen sind.

Ein Blick auf die Bühne also reicht – der Rest ist ein meist strahlend buntes Lichtermeer und ein Wechselbad aus Wohlfühlen, Kuscheln, Lauschen auf der einen Seite, dort wo es heiß ist; sowie ein bisschen angewidert sein und sich die Frage stellen, ob man das noch schön finden soll, auf der anderen Seite, dort wo es kalt ist. Denn Air sind nicht mehr nur die sympathische Geschmackspolizei, die Meister im Hervorbringen von Bausch und Flausch, die Großmeister im Arrangieren von Sounds, die gute Figuren bei David Hamilton oder den Emmanuelle-Filmen abgeben würden; und Air sind auch nicht mehr nur die Band, die mit „The Virgin Suicides“ diesen Zuschreibungen noch etwas Morbides hinzufügte, die nicht nur zarte Teenagerträume ausstatten konnte, sondern auch Teenagerhöllen.

Nein, Air haben mit ihrem neuen Album „10.000 Hz Legend“ gezeigt, wo die Hämmer hängen können, wie es ordentlich bratzen kann, wie ein von Beck gesungenes Folkstück mit herzerweichenden Synthesizern zusammengeht, wie die bösen Mächte mit den schönen Dingen des Lebens unweigerlich zusammenhängen, wie man glücklich und unglücklich sein kann, und so weiter und so fort.

Ein schöner Albtraum, dieses Album, der sich aber, wie das nun mal so ist mit Albträumen, nur schwer kommunizieren lässt: Jean-Benoît Dunckel und Nicolas Godin, die beiden Masterminds von Air – der eine an Keyboards und Programmmaschinchen und mit Augenklappe, der andere an der Gitarre – sagen brav manchen Song an, sagen auch mal „danke schön“. Erklären dann aber im selben Atemzug, dass Deutsch eine schöne, aber komplizierte Sprache sei, weshalb man bei Englisch bleibe. Doch zu sagen haben sie nicht wirklich was. Und brauchen sie auch nicht, wenn Sounds regieren. Die sind so federleicht und Schmusewolle, wie man sie von „Moon Safari“ und „Virgin Suicides“ kennt, und die funktionieren in diesem Rahmen tatsächlich: Da lässt man sich gern in blassblaues Geschenkpapier einwickeln und will endlos zwischen den vielen Menschen stehen bleiben; da gibt’s das von vielen Pärchen bevorzugte Ineinanderreinkrabbeln beim Tanzen, da gibt’s auch die hingebungsvoll nach unten schlabbernden Schultern, wie man sie aus den Achtzigern kennt. Was es nicht gibt, sind Feuerzeuge, die in die Höh’ gehalten werden – die passen nicht: Bei Air brennen die Lichter immer nur nach innen.

Dann aber sind manche Songs so zäh, eklig und bombastisch, so gniedelig, dass man nur auf die Solos der einzelnen Musiker wartet: Als ob es die fiesen Siebziger niemals gegeben hätte, progressiver Rock, Emerson, Lake und Palmer und schlimmer. Da sagt dann Sophie, die einen Citroën fährt und damals noch gar nicht geboren war: „Pink Floyd“, und versichert später glaubhaft, dass sie das nicht irgendwo gelesen, sondern sich den Reim aus dem musikalischen Brimborium und den vielen flirrenden Lichtern gemacht hätte.

Trotzdem verschwindet keiner aus dem Publikum vorher, nicht als Dunckel (oder Godin?) einmal so richtig in seine Gitarre beißt, nicht nach dem ersten Set, der mit dem knackigen „Don’t Be Light“ endet, nicht nach den ersten beiden Zugaben. Dem Publikum ist bewusst, dass nicht aller Tage ein Leben in perfekten Harmonien möglich ist. Dass der Horror manchmal einen Namen hat. Und der Flokati-Teppich auch. Der letzte Eindruck, ein ferner Nachhall bei einem Gläschen rund um die Kastanienallee: Ein gelungenes Konzert.