Wie Lieder gelagert werden

Wortreich und okkult: Im Literaturhaus Fasanenstraße tagten die Arno-Schmidt-Leser

Nicht nur Anhänger des Laufsports hat es an diesem Wochenende in die Hauptstadt verschlagen, sondern auch Literaturfans mit besonderer Ausdauer. Vor allem gesetzte Herren sind zur Jahrestagung der „Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser“ angereist. Es ist noch früh, der Saal im Literaturhaus Fasanenstraße erst halb voll.

Den Anfang macht ein Beitrag mit dem Titel „Nur für Verrückte“ zur Hermann-Hesse-Rezeption Arno Schmidts. Ein junger Schmidt-Leser, in eigentümlicher Weise Aussprache und Betonung des Meisters imitierend, klärt wortreich über das Verhältnis Schmidts zum Autor des „Steppenwolfs“ auf. Der Vormittag schreitet voran, die wachsende Zahl der Anwesenden erhält Aufschluss über die „Lagerung der Worte im Gehirn“. Der Vortragende: ein promovierter Biologe und Germanist. Mit Hilfe einer Menge Overhead-Folien versucht er dem Publikum, Arno Schmidts Bemühungen zur „literarischen Abbildung von Bewusstseinsvorgängen“ unter aktuellen „neurobiologischen Gesichtspunkten“ nahe zu bringen. Ergebnis: Schmidt war verdammt nah dran an dem, was heutzutage unter den Hirnforschern en vogue ist, ließ sich jedoch durch seine Freud-Lektüre allzu oft ablenken.

Zwölf Uhr mittags. Fast alle Plätze sind jetzt besetzt. Plötzlich schreitet ein grobschlächtiger Mann zum Rednerpult. Es ist Wilhelm Rathjen, ein bekanntes Gesicht aus der Schmidtschen Interpretentruppe. Vor kurzem hat der Philologe eine eigenwillige Fortsetzung von Melvilles „Moby Dick“ veröffentlicht. Heute hat er eine besondere Sensation parat: die Aufdeckung der bisher unbekannten Freundschaft zwischen Arno Schmidt und John Lennon! Seit Mitte der Sechzigerjahre war der Kopf der Beatles des öfteren heimlicher Gast im niedersächsischen Bargfeld. Dieser revanchierte sich mit nie publizierten Übersetzungen von Lennons Gedichten. Einige Male trafen sich die beiden Anti-Militaristen angeblich auch auf einer einsamen Insel vor der Küste des Nicht-Nato-Staates Irland. Das will Rathjen bei einem durch die „Dublin Hermetic Society“ vermittelten posthumen Gespräch mit Lennon herausgefunden haben.

Ähnlich okkult ist auch das Rahmenprogramm der Jahrestagung. Einen ganzen Nachmittag lang geht es zu den Grabstätten berühmter Schriftsteller. Dass Berlin, so die Begleitbroschüre, einmal „das kulturelle Zentrum Deutschlands“ gewesen sei, wird den Schmidt-Lesern aus der kulturell aktiven Provinz erst später gezeigt. In einem Off-Theater wohnen sie der szenischen Aufführung des Romans „KAFF auch Mare Crisium“ bei. Alles ist sehr schmidtianisch: selbst bei einer Sexszene legen die Schauspieler ihre Bücher nicht aus der Hand.

ANSGAR WARNER