: Die Zicke und ihr treuer Bernhardiner
Die tragische Beziehungsgeschichte der Pazifistin Petra Kelly und des Exgenerals Gert Bastian kommt als Spielfilm ins Fernsehen. Ein symbolträchtiger Sendeplatz: am Tag der Deutschen Einheit zur besten Sendezeit im Ersten („Kelly Bastian – Geschichte einer Hoffnung“, Mi., 20.15 Uhr, ARD)
von CAROLINE SCHMIDT-GROSS
Ihr Tod ist genau neun Jahre her. Ein relativer Zeitbegriff. Für die Angehörigen, politischen Wegbegleiter und die Generation der im Schnitt 40-Jährigen ist das Vorzeigepaar der Linken noch präsent. Vielen Jüngeren dagegen sagen die Namen nichts mehr. Bei der Pressevorführung fragte eine Fotografin sogar die Schauspieler Michael Mendl (Bastian) und Dagmar Manzel (Kelly): „Ach, die beiden sind nicht nur Schauspieler, sondern auch Politiker?“ Das ist das erste Problem des Films.
Die Älteren sind zunächst irritiert. Sie müssen sich erst einmal an die Schauspieler gewöhnen. Dank ihrer hervorragenden Leistung verschmelzen aber die reale Personund die fiktive Figur schnell, obwohl der Regisseur Andreas Kleinert keine langen Einstellungen scheut. Minutenlang ist Petra Kelly in Großaufnahme zu sehen, als die Grünen 1982 das erste Mal in den Bundestag einziehen. Rückblickend gesehen, wohl der Höhepunkt ihrer Karriere. Als hätte sie es vorausgeahnt. Ihr verzerrter Gesichtsausdruck zeigt mehr Schmerz als Freude. Von da an geht es bergab, nicht nur politisch, sondern auch privat. Das ist das zweite Problem.
Der Film wird von den verantwortlichen Redakteuren der ARD als politischer Spielfilm angepriesen, das ist er aber leider kaum. Die immer krankhafter werdende Beziehung bestimmt weitgehend die Handlung. Die Politik bildet nur den Hintergrund. Auch wenn der Nato-Doppelbeschluss 1979, Mutlangen 1983 und die Niederlage der Grünen 1990 in der Geschichte auftauchen, lösen sie entweder nur einen Aha-Effekt aus oder wirken mangels Erklärung wie eine Fototapete. Trotzdem gelingen Andreas Kleinert, hier hat er wohl aufgrund seiner Biografie (er wuchs in der DDR auf) den nötigen Abstand, und Drehbuchautor Wolfgang Menge einige schöne ironische Abschnittte. Irrsinnig komisch inszeniert ist beispielsweise die langwierige Diskussion der Grünen-Fraktion darüber, ob Petra Kelly nicht mehr Geld gezahlt werden kann. Schließlich einigt man sich auf 2.000 Mark. Einmalig wohlgemerkt! Nicht monatlich. Neid und Konkurrenzkampf schlagen Petra Kelly entgegen. Sie ist maßlos enttäuscht.
Ansonsten wird das Politische überwiegend in privaten Dialogen abgehandelt. Nach der ersten Liebesszene erklärt Kelly Bastian: „Das gehört alles zusammen. Liebe. Politik. Arbeit.“ Und später: „Ich will die Welt verändern!“ Das ist in ihrem Fall bedauerlicherweise keine Politikerfloskel. Sie meint das todernst und zerbricht daran. Die private Ebene der Beziehung fängt an die politische Arbeit zu dominieren. Dem mehrfach preisgekrönten Regisseur Andreas Kleinert gelingt es dieses Dilemma in eine klare und ruhige Bildsprache umzusetzen. Kelly und Bastian sind meist allein. Entweder in einem leeren Sitzungssaal, in einer Bar, auf einem einsamen Feldweg oder später vor dem Fernseher in ihrem völlig zugemüllten Reihenhaus in Bonn. Ihre Isolation wird überdeutlich.
Nicht deutlich wird jedoch, daß damals vor neun Jahren nur die wenigsten wußten (oder wissen wollten?), wie neurotisch und angstzerfressen Petra Kelly und wie abhängig Bastian von ihr war. Nach außen verkaufen sie sich noch immer als engagiertes linkes Politikerpaar. Hofiert werden die Trägerin des Alternativen Nobelpreises und ihr Begleiter aber nur im Ausland. Im Inland wird Petra Kelly als zickig und hysterisch abgetan, Gert Bastian als ihr treuer Bernhardiner belächelt. Kein Ruhmesblatt für die Grünen. Noch einmal versucht Petra Kelly verzweifelt, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Völlig realitätsfern erklärt sie sich 1992 bereit, das Umweltmagazin „Fünf vor Zwölf“ auf Sat.1 zu moderieren. Die Sendung wird verrissen und nach wenigen Folgen abgesetzt. Ein Grund für Petra Kelly, beinahe komplett durchzudrehen.
Das Beziehungsdrama nimmt im ARD-Film von der Umwelt weitgehend unbemerkt unaufhaltsam seinen Lauf. „Pedilein“ und „Gerdilein“ können nicht ohne einander und nicht miteinander. Lediglich die Ehefrau von Gert Bastian, Charlotte (Nicole Heesters), von der er sich nicht trennen will, und seine Tochter Eva (Kathrin Waligura) erkennen die drohende Gefahr. „Das ist nicht Liebe, sondern Sucht“, wirft Eva ihrem Vater vor. Petra Kelly tyrannisiert Bastian bis zum Anschlag. Irgendwann kann er nicht mehr und missversteht offenbar Kellys pessimistischen Äußerungen wie: „Manchmal möchte ich mich in Luft auflösen!“ Warum Gert Bastian Petra Kelly tötet und sich selbst anschließend erschießt, bleibt für immer im Unklaren. Erst 18 Tage später werden sie gefunden.
Wie unfassbar das alles war, zeigt allein die Tatsache, dass noch heute viele von „Doppelselbstmord“ sprechen. Obwohl schon 1993 das sehr gut recherchierte Buch von Alice Schwarzer „Eine tödliche Liebe: Petra Kelly und Gert Bastian“ mit diesem Mythos aufgeräumt hat. Auf dieser Vorlage basiert auch das Drehbuch. Das Filmteam hat sich getraut, den gewaltsamen Tod so umzusetzen, wie es gewesen sein könnte. Die Kamera geht ganz nah dran. Das ist für den Zuschauer quälend und spannend zugleich. Trotzdem bleibt die Szene inkonsequent. Es ist kein Blut zu sehen. Aus Rücksicht auf die Angehörigen. Das macht deutlich, wie sensibel dieses Thema selbst nach neun Jahren noch ist. Till Bastian, der Sohn von Gert Bastian, kommt in dem Film nicht vor – auf eigenen Wunsch. Einen unverfänglichen Titel zu finden fiel schwer. Auf der Presseeinladung stand noch: „Lass mich nicht allein – Petra Kelly und Gert Bastian“. Jetzt heißt er absolut unzutreffend „Kelly Bastian – Geschichte einer Hoffnung“.
Trotz des insgesamt beeindruckenden und sehenswerten Spielfilms bleiben mehr Fragen als Antworten. Regisseur Kleinert rechnet schon jetzt mit allen möglichen Reaktion: „Wir möchten anecken und für Diskussionen sorgen. Das mit mir viel wichtiger als ein Preis, der nur verstaubt. Und wenn wir uns dafür Ärger einhandeln: warum nicht.“
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