Jenseits von Multikulti-Kitsch

Arbeitskämpfe von MigrantInnen: Ken Loachs Bread and Roses  ■ Von Georg Felix Harsch

Mitten in San Francisco, zwischen Bürohochhäusern und Banken, steht die Zentrale der syndikalistischen Hafenarbeitergewerk-schaft. Über dem Eingang hängt ein Schild mit der Aufschrift „United we stand, divided we fall“, und auf dem Platz davor wird seit 1931 jährlich der Umriss eines beim damaligen Streik von der Polizei getöteten Genossen mit weißer Farbe nachgezeichnet. Ein wenig pathetisch und anachronistisch wirkt dieses zweidimensionale Klassenkampf-Denkmal, aber es macht dem europäischen Besucher trotzdem deutlich, wie a-historisch und aseptisch das Selbstbild der USA ist, wie es insbesondere Kalifornien so gerne von sich entwirft. Das Bild wirkt genau so, wie man es sich für einen US-amerikanischen Film von Ken Loach vorgestellt hätte.

Diesen Film gibt es jetzt, er heißt Bread and Roses und nimmt schon im Titel auf die dortige Arbeitskampf-Tradition Bezug. In Ken Loachs erstem US-amerikanischen Film sind es die MitarbeiterInnen einer großen Gebäudereinigungsfirma, vorwiegend Latinas, die sich organisieren, und die schließlich auch höhere Löhne und Krankenversicherungen erkämpfen.

Im Zentrum der Erzählung steht Maya (Pilar Padila), gerade mit Hilfe ausbeuterischer Fluchthelfer aus Mexico zu ihrer Schwester Rosa (Elpidia Carillo) nach LA geflohen. Ihre Widerständigkeit gegen die Willkür des Vorarbeiters, Begeisterung für die Agitationsbemühungen des jungen Gewerkschaftsaktivisten Sam Shapiro (Adrien Brody) und ihre Konflikte mit Rosa und anderen Streikbrechern bestimmen die Bewegungen des Films.

Dass Loach das Politische am Privaten in filmischen Erzählungen herausarbeiten kann, die, ohne aufdringlich intim oder paternalistisch zu sein, eine fast physisch spürbare Nähe zu ihren Objekten vermitteln, beweist er seit über 30 Jahren. Und sein Geschichtsbewusstsein zeigte sich in Land and Freedom (1994) trotz der Unterschlagung von George Orwells Vorlage als dramatisch klug und differenziert. Nur sein Blick auf Lateinamerika, so erschien es nach Carlas Song (1996), ist doch von Exotismus und Linkskitsch ein wenig getrübt. Etwas zu aufrecht und kämpferisch waren dort die BewohnerInnen Nicaraguas ins Bild gesetzt, zu deutlich sichtbar waren sie auch Projektionen einer frustrierten europäisch-linken Perspektive.

Ein solches Schicksal bleibt den lateinamerikanischen Figuren in Bread and Roses schon aufgrund ihrer Migrations-Situation erspart. Der Film beginnt mit einem heimlichen Grenzübertritt (nur in dieser Sequenz, zum ersten Mal überhaupt, benutzt Loach den subjektiven Realismus-Holzhammer der wackeligen Handkamera, die hier das Persönlich-Transitorische einer solchen Überschreitung perfekt vermittelbar macht) und er endet mit einer Abschiebung. Dazwischen stehen Arbeit, Alltag und die dazugehörigen Konflikte, nicht etwa Ursprünglichkeit oder Fremdheit.

Los Angeles bekommt bei Loach keines seiner üblichen touristischen Film-Gesichter. Die Stadt ist kein dystopisches Gangland, kein hypermodernistischer Sprawl und schon gar kein Beverly Hills, sie besteht vor allem aus den Wohnungen und Arbeitsplätzen der Menschen, die hier leben. Die Vertrautheit mit den Glasgower Arbeitersiedlungen und der nordenglischen Arbeitslosenkultur, die der filmische Blick in Loachs besten Filmen so mühelos demonstriert, wird hier durch die Dynamik zwischen Banalität und Befremden einer migrantischen Perspektive ersetzt.

Und wo die Figuren der britischen Filme durch ihre ausgeprägten Dialekte dem anglo-amerikanischen Publikum nahe gebracht und gleichzeitig entfremdet wurden, sprechen die Mitglieder der Putzkolonnen in Bread and Roses die halbe Zeit nur Spanisch oder Spanglish. Loachs Bemühen um eine eigene Sprache für sein Personal fügt auch dem Eisensteinesken Bild der zu Marschmusik demonstrierenden Arbeiter gegen Ende des Films noch mexikanische Bläser hinzu. Dabei entsteht eben keine große Geste kollektiven Heldentums, sondern wird im Gegenteil die mikrokosmische Perspektive auf den Arbeitskampf bestärkt.

Trotz Cameos (Benicio del Toro und Tim Roth als Hollywood-Stars auf einer Anwalts-Party an Mayas Arbeitsplatz) und der räumlichen Nähe zu Hollywood wird Bread and Roses für ein großes Publikum so unsichtbar bleiben wie die Latina-Putzkolonne für die Anwälte, deren Büros sie sauber machen. Aber spätestens im ZDF-Nachtprogramm werden sich ein paar spät aufstehende Call-Center-Arbeiterinnen über die tollen Schauspieler und die hübsche Conjunto-Musik freuen.

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