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: Grenzgeschichten

Vor kurzem trafen sich Jugendliche aus der deutsch-polnischen Doppelstadt Guben-Gubin, darunter etliche Schüler der dortigen „Europa-Schule“, in einem der vier Jugendzentren auf deutscher Seite, in der „Fabrik“ (!) – um sich über die Vorbereitungen einer zweiwöchigen Kulturveranstaltung zu informieren, die noch bis zum 14. Oktober dauert. Von den 30 Schülerinnen, die mitwirken wollten, war nur eine aus Guben, und die ging dann auch noch bald.

Die Veranstaltung wird flankiert von einem Workshop, in dem man an einer Wandzeitung arbeitet. Teile davon werden Ende Oktober als Beilage auch den taz-Lesern zugänglich gemacht werden – dank der Heinrich-Böll-Stiftung in Potsdam. Organisiert wird die Kulturveranstaltung von dem Berliner Schriftsteller Gregor Mirwa, der in Guben als Arbeitsmediziner tätig ist. Zu arbeiten gibt es direkt am Ort jedoch nicht mehr viel – vor zwei Jahren machte auch noch die traditionsreiche Gubener Hutfabrik dicht. Heute verlassen jeden Monat etwa 150 Gubener die Stadt – für immer.

Aber auch von den polnischen Jugendlichen aus Gubin und Umgebung will keiner bleiben: „Weil es hier keine Arbeit mehr gibt.“ Die Kulturveranstaltung hat denn auch den Titel: „Kommen – Gehen – Bleiben“. Zu den wenigen Kommern, die bleiben wollten, gehörte bisher Dr. Mirwa, der bereits dreimal ein solches „Europäisches Fest der Kulturen“ organisiert hat, nun aber am Jahresende gehen will.

Für solche länderübergreifenden Events, gerade im strukturschwachen Grenzgebiet, gibt es eine rege Unterstützung diverser staatlicher und halbstaatlicher Stellen - von der EU bis zur Stadtverwaltung Guben. Gubin, auf der anderen Seite, zählt jedoch zu den reichsten Bezirken Polens. Die beiden Stadtverwaltungen arbeiten seit Jahren eng zusammen – und beziehen dafür extra Fördergelder, für eine Vielzahl von „Projekten, Partnerschaften und Events“. Ja, man hat den Eindruck, dass all diese wunderbaren deutsch-polnischen „Initiativen“ von oben kommen – und von unten auf Desinteresse stoßen.

Das geht bis hin zur Nachbarstadt Forst, wo man sogar den Wiederaufbau einer Brücke nach Polen ablehnte. Die polnischen Jugendlichen meinten dazu: „Die Deutschen stehen mit dem Rücken zu uns – und kucken nur nach Westen!“ Mir kommen sie darüberhinaus auch noch langsamer und dumpfer vor als die polnischen Jugendlichen – „die pfiffigsten sind längst weg“, sagte man mir.

Den polnischen Jugendlichen könnte man entgegenhalten, daß sie genauso gebannt bloß nach Westen starren (in puncto Musik, Mode, Lebensstil, Ideologien etc.). Wenn die Kulturveranstaltung z. B. an der polnischen Grenze zur Ukraine stattfinden würde, könnten die ukrainischen Jugendlichen noch nicht einmal so ohne weiteres daran teilnehmen, weil sie 50 Dollar an der Grenze hinterlegen und eine Einladung vorweisen müssten. Bei dieser kontemporären Auswestung des Ostens gibt es höchstens insofern eine Ausbalancierung, als sich immer mehr Leute im Westen nun für den Osten interessieren, insbesondere für Russland, was man wiederum in Polen befremdlich findet. HELMUT HÖGE