„Die alte Einheit des Films zerbricht“

Hollywood liefert das Spielmaterial: Holly Willis, Medientheoretikerin und Redakteurin des Web-Portals RES, glaubt, dass digitale Technik und die Verbreitung ganzer Filme über das Internet die Ästhetik des Kinos verändern wird

taz: Können wirklich schon ganze Filme im Internet vertrieben werden?

Holly Willis: In den letzten zwei Jahren gab es bei Kurzfilmen einen Boom mit Webunternehmen wie Eyefilm und Atom. Sie versuchten, die Filme übers Web zu verkaufen und haben schließlich gemerkt, dass es bislang dafür keinen Markt dafür gibt. Um dabei zu bleiben, haben sie jetzt ihr Geschäft daramatisch verlagert. Viele andere Firmen sind ziemlich schnell Pleite gegangen. RES dagegen arbeitet mit Firmen, die schon ein Portal mit vielen Kunden haben. Dort stellen wir DV-Filme als Extrakomponenten vor. So machen wir das bei Sputnik7, einem Musikportal, bei dem wir Videoclips und Animationen zeigen.

Lohnt sich die Mühe denn auch finanziell?

Das Netz ist perfekt für Filmemacher, die ein Publikum und Aufmerksamkeit brauchen, um längerfristig ihren nächsten Film drehen zu können. Denn verkaufen lässt sich ihr Projekt nach dieser Art von Exposition nicht mehr. Solange sie das nicht tun, gibt es für manche von ihnen sicher noch einen Markt. Abgesehen davon ist die Kapazität des Web immer noch zu klein, um Filme in einer guten Qualität zeigen zu können. Deshalb sollten sich die Regisseure erst im Klaren sein, was sie mit ihrem Film kommerziell anfangen wollen und ob sie ihn nicht lieber auf Festivals zeigen. Was natürlich von der jeweiligen Karriere und dem Standpunkt abhängt.

Sollten Filme kostenlos aus dem Netz abgerufen werden können?

Das Urheberrecht hat immer noch seinen Platz. Als Autorin passiert es mir, dass meine Text auf irgendwelchen Webseiten auftauchen, ohne dass ich dafür bezahlt werde. Oder dass ich für die Online-Veröffentlichung einer Printzeitung nichts bekomme. Da ist für mich sicher die Grenze des Zumutbaren erreicht. Trotzdem ist das eine Art Austausch. Sogar große Hollywodproduktionen oder ihre Charaktere können Teile einer neuen Kultur werden. Mit solchen professionell hergestellten, kommerziellen Materialien zu spielen, ohne wiederum kommerzielle Zwecke im Auge zu haben, sollte nicht verboten sein. Ich darf zwar „Star Wars: Episode 1“ in meiner ungeschnittenen Version nicht verkaufen, aber ich kann sie als kritisches künstlerisches Projekt anderen im Netz vorführen. Zwar kommt diese Art der Open Source ebenso in Konflikt mit dem Copyright wie mp3. Aber es gibt eine lange Tradition von Filmen, die aus zusammengesuchtem Material entstanden sind. Open Source im Filmemachen wird einmal so aussehen, dass man Kinofilme aus Spaß oder zugunsten der Qualität privat umschneidet, wie das bei dem letzten Star-Wars-Film bereits gemacht wurde. Oder man stellt absichtlich Material ins Netz, das alle verwenden dürfen. Das ist natürlich ein ganzes anderes Modell des freien Austauschs von Besitz und ein anderes Selbstverständnis von der Autorität des Autors.

Wie der Film „Blair Witch Project“ gezeigt hat, kenn eine Website einen Hype erzeugen, ohne den dieser Film nie in die großen Kinos gekommen wäre. Lässt sich dieses Modell auf andere Produktionen übertragen?

Zunächst einmal erhöht eine eigene Website für einen Film die Chancen, einen Verleih zu finden. In den USA ist es außerdem wichtig, wie viel eine Produktion eingespielt hat. Normalerweise steht das als „Box Office Report“ in jeder Zeitung. „Blair Witch Project“ war auch deshalb so erfolgreich, weil die Leute fasziniert davon waren, wie viel Geld dieser Film schon gemacht hatte, bevor er zu sehen war. Es war eine Investment-Story über „rags to riches“ ebenso wie eine Geschichte über die Entstehung des Films. Inzwischen gibt es Versionen der Jennicam.org, in denen die Leute schauspielern: Wie können wir die Realität in der heutigen visuellen Kultur verstehen? Wie können wir überhaupt noch dazu Abstand haben, um zwischen Realem und medial Vermitteltem zu unterscheiden, wenn alles medial ist?

Mit dem DVD-Format zieht der Kinofilm in die Welt des PC ein. Was ändert sich damit?

Verschiedene Schnittversionen, Kommentare des Regisseurs und ein alternatives Handlungsverläufe werden möglich. Damit wird die alte Einheit des Films zusammenbrechen. DVD ist Metakino mit Informationen über die Herstellung des Films und die Zusammenarbeit mit den Schauspielern. Der Poduktionsprozess eines Films interessiert uns unter dem kulturellen Aspekt erst ungefähr seit einer Dekade. Heute reden wir bereits über „24P“, eine digitale Kamera, die versucht, den 35-Millimeter-Film nachzuahmen. Zwar fängt sie nur 24 Bilder pro Sekunde ein, stellt aber im Unterschied zur DVD-Technik jede Zeile dar statt nur jede zweite. Das bringt eine viel höhere Bildqualität. Die Technik hat noch einige Nachteile, ähnlich wie der Videofilm davor. Aber man kann das Material nun problemlos in Kinos abspielen, ohne es aufblasen zu müssen. INTERVIEW: VERENA DAUERER