: Berlin in Warhol
„Alles ist Kunst“, hat Andy Warhol gesagt. „Und alle sind Warhol“, könnte man hinzufügen. Die Wahlkämpfer haben das längst begriffen
von JÖRN KABISCH
Es ist nicht die erste Retrospektive der Werke Warhols, die heute in der Nationalgalerie eröffnet wird. Eine seiner ersten hat er 1965 in der New Yorker „Factory“ selbst veranstaltet. Der Ansturm der Fans war dramatisch. Warhol berichtete: „Viertausend junge Leute drängten sich in zwei Räumen. Sie mussten alles von den Wänden nehmen – meine ganze ‚Retrospektive‘ –, sie wäre sonst kaputtgedrückt worden. Märchenhaft. Eine Kunstausstellung ohne Kunst.“
Auch die Austellungsmacher in Berlin hätten sich diese Worte zum Motto nehmen können. Nun hängen aber wieder die Siebdrucke von Mao bis Monroe hinter den riesigen Mattscheiben des Mies-van-der-Rohe-Baus, und natürlich: in einer Ecke stehen sie, die unvermeidlichen Campbell-Dosen, obwohl die Suppen täglich auch bei Karstadt am Hermannplatz ausgestellt sind. „All is pretty“ - Alles ist Kunst, hat Andy Warhol in seiner „Philosophie“ doch geschrieben. Die eigentliche Retrospektive Warhols ist auch heute außerhalb von Museen und Galerien zu betrachten, also auch in ganz Berlin.
Unter allen Warhol-Slogans ist dieser vielleicht der berühmteste, der vom Jedermann als 15-Minuten-Berühmtheit. Eine Viertelstunde, aber was dann? Dieses Schicksal teilen die Berliner Politiker in diesem Wahlkampf miteinander. Vor ein paar Monaten entschied sich an seinem Ausgang noch die Zukunft der Republik, heute bestimmen Ortspolitiker an Tapeziertischen das Wahlkampfeinerlei zwischen Lichtenrade und Hellersdorf. Die bundespolitische Prominenz hat sich weggeduckt.
Das liegt nicht nur daran, dass nach den Anschlägen von New York und Washington die Prioritäten verschoben sind. Die Kandidaten haben sich in Talkshows und Interviews mit den Schlagworten Personaleinsparung und Finanzsanierung auch in die Endlos-Schleife der Plattitüde geflüchtet. Das Wie der neuen Politik bleibt ausgespart. Das ist Andy-Warhol-TV. Der hat über seine Filme auch immer gesagt, die müsste man nicht gesehen haben, es reicht, wenn man über sie spricht.
Warum werden eigentlich die Wahlplakate nicht auf Sperrholz aufgezogen, mit Diamantenstaub berieselt – wie Warhols „Last Supper“ – und dann in die Nationalgalerie gestellt? Nicht nur dass das Steffelporträt mit dem Text „Frank und frei“ oder Gysis „Der will. Der kann“ massenhaft reproduziert an jeder Hauswand hängen, sie sind so mehrdeutig, dass sie sich der Interpretation verschließen und zum Spiegel der Wähler-Projektionen werden. Reine Warhols eben. Nur der Happening-Charakter hat sich leider verloren, Eier- und Tomatenwerfer hat die Hauptstadt seit Wochen nicht mehr gesehen.
Unter allen Warhols ist Andy Warhol das größte Werk: Der grandiose Kommunikator, Selbstdarsteller und monotone Rekapitulator seiner eigenen Slogans in Bild und Ton. Davon hat sich jeder der Berliner Kandidaten so seine eigene Scheibe abgeschnitten.
Während Frank Steffel mit seinen Zitaten immer nahe am Kitsch entlangsegelt, hat sich Klaus Wowereit nicht nur das unablässig gleichgültige Lächeln des Künstlers ausgeliehen. Dass das „Gut-so“ bald eine geschützte Marke sein könnte, adelt den Regierenden als echten Andy-Exegeten.
Und Gregor Gysi hätte eigentlich schon längst in Interview brilliant Rede und Antwort stehen müssen. Warhol gründete das Magazin, nachdem er erkannt hatte, dass Interviews die reine Kunst sind: Selbstporträts in Sprache, egal wie hart der Interviewer fragt.
Die FDP und ihr Solo-Kandidat Rexrodt haben sich mit dem „Projekt 18“ darüber hinaus ganz bewusst aus der angestammten Realität zurückgezogen. Und Sibyll Klotz? Mit den Grünen verbindet Warhol, dass er ihnen mal angeboten hat, für einen Bundestagswahlkampf ein Plakat zu gestalten. Nun haben die Berliner Grünen in Campbell-Manier ein Waschmittel-Design ausgedacht.
Die beste Begegnung mit Andy Warhol also ist, eine rosa Sonnenbrille aufzusetzen, und zu irgendeiner Wahlkampfveranstaltung zu gehen, egal ob von Gysi, Steffel, Rexrodt oder Klotz oder Wowereit. Wie sagte Warhol: „Künstler zu sein ist ein Job wie jeder andere.“
wahlkampftermine SEITE 28
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