Ferien ahoi!

Im Hausboot über den Rhein-Marne-Kanal durch das Elsass tuckern. Nach anfänglicher Skepsis vermarkten die beiden Regionen Lothringen und Elsass gemeinsam das Produkt Bootstourismus

Andante, immer andante. Trödeln ist hier die Urlaubsdevise

von GÜNTER ERMLICH

Für ein paar Tage werden wir Plaisanciers sein, Vergnügungsschiffer. Mit einem Hausboot wollen wir im Walkingtempo über den Rhein-Marne-Kanal tuckern. Grenzüberschiffend zwischen Xouaxange, noch in Lothringen, und Saverne, schon im Elsass. Im Vergleich zu den viel befahrenen Hausbootrevieren Canal du Nivernais und Canal du Midi im südlichen Frankreich ist der Rhein-Marne-Kanal, der das Pariser Becken mit der Oberrheinischen Tiefebene verbindet, zwar noch lange nicht voll. Aber auch hier entdecken Urlauber die Pénichettes („Lastkähnchen“) genannten Hausboote zunehmend als attraktives Freizeit- und Urlaubsvehikel.

Vom Handelsweg zur Ferienroute. Diese Metamorphose hat auch der 314 Kilometer lange Rhein-Marne-Kanal durchgemacht: Der von 1838 bis 1853 erbaute Wasserweg, der besonders dem Transport von Kohle diente, wurde nach dem industriellen Niedergang stillgelegt und erlebt erst seit fünf Jahren durch den Bootstourismus eine gewisse wirtschaftliche Renaissance. Nach anfänglicher Skepsis vermarkten die beiden Regionen Lothringen und Elsass gemeinsam das Produkt Bootstourismus auf ihren Wasserwegen.

Der lothringische Luftkurort Lutzelbourg, von der gleichnamigen Burgruine überragt, ist ein beschauliches Dorf im waldreichen Zorntal der Vogesen. Im Freizeithafen nehmen wir unsere Pénichette in Empfang. „Grand Moulin“, Große Mühle, heißt der Kahn und ist mit 13 Metern verdammt lang. Wir haben keinen Bootsführerschein und brauchen ihn auch nicht.

Daniel Bouchez, Chef der Hausboot-Basis von Locaboat Plaisance, erklärt uns im Nullkommanichts die allernötigsten Handgriffe. „Erst den Dieselmotor vorglühen, dann starten!“, impft uns der Bootsverleiher ein und dreht schon den Zündschlüssel rum. Mit dem Hebel Gas geben, Leerlauf, Rückwärtsgang einlegen, wieder vorsichtig Gas geben. Eine Bremse gibt’s nämlich nicht. „Wenn das Boot in eine Richtung zieht, nur kurz mit dem Steuer korrigeren, dann schnell auf Mitte stellen, sonst fahrt ihr Zickzack“, sagt der Meister. Schön langsam schert die Pénichette vom Ufer aus. „Ça va?“ Ça va! Sieht kinderleicht aus. Noch schnell ein Schleusengang, dann geht Bouchez von Bord und lässt uns allein.

Wir sind zu zweit. Frau-Mann-Besetzung. Die ersten Meter der Jungfernfahrt oder: Wenn aus Landratten Freizeitkapitäne werden. Da naht sie schon, die erste Schleuse in Lutzelbourg. Und wird zum Debakel. Das wilde Wasser sprudelt ins Bassin. Mit einem fetzigen Rums knallt „Grand Moulin“ achtern an die Schleusenmauer. Trotz der wulstartigen Fender, die das Boot schützen sollen. Mist! Die Leine verheddert sich. Verflucht! Jetzt aber raus und hoch zur Kaimauer. Erst vorne, dann hinten das Seil um die Poller wickeln. Der Wasserpegel steigt zweieinhalb Meter, unser Boot immer mit. Schnell die Leinen los, rauf aufs Boot, raus aus der Wassserkammer und Volldampf voraus. Überstanden!

Drei Kilometer voraus, nach einer 90-Grad-Rechtskurve, erscheint der Plan Incliné, die „schiefe Ebene“ in Saint-Louis-Arzviller. Ein imposanter Schrägaufzug für Schiffe. Hier muss der Kanal über die Vogesen. Wo früher eine Kette von 17 Schleusen auf vier Kilometern für die Schiffer ein Zeit raubendes Stop-and-Go bedeutete und eine ganze Tagesetappe in Anspruch nahm, überwindet der 1969 erbaute Schiffslift in vier Minuten den Höhenunterschied von 45 Metern. Zusammen mit dem Hausboot Christine und dem Motorboot Christoph manövrieren wir unsere Große Mühle in den wassergefüllten Trog. Das technische Prinzip sei ganz einfach, knarzt eine Männerstimme aus dem Lautsprecher, als der schräge Aufzug anfährt: „Das Förderbecken wird durch Ein- und Auslassen von Wasser und mit zwei 450 Tonnen schweren Betonblöcken gehoben und gesenkt.“ Das archimedische Prinzip.

Weiter geht’s auf dem Oberkanal. Wie durch eine Schlucht verläuft jetzt der künstliche Wasserlauf, der Mischwald beiderseits der Ufer bildet eine sattgrüne Wand. Der Guide Fluvial, die Flusskarte, zeigt uns detailliert, wo es langgeht. Alle Schleusen, von 2,50 bis 5,43 Meter hoch und von 6.30 bis 19.30 Uhr geöffnet , alle Untiefen, alle Tankstellen, alle Wasserzapfstellen, alle Campingplätze und alle Tunnel.

Vor dem Tunnel von Arzviller, 2.306 Meter lang, steht die Ampel auf Grün: Wir dürfen rein. Die Tunnels, auch der folgende 475 Meter kurze Souterrain von Niderviller, sind schmale Einwege. Feucht und dunkel, irgendwie unterirdisch. Aber da müssen wir durch. Der Bordscheinwerfer wirft einen schmalen Lichtkegel. Ohne anzuecken verlassen wir das Dunkel und halten unsere Pénichette auch draußen im Sonnenschein auf Kurs. Kein Problem, denn nur wenige Freizeitboote kommen uns entgegen. Der Dieselmotor, auf rund 8 km/h runtergetunt, tuckert gleichmäßig im Takt. Andante, immer andante. Trödeln ist hier die Urlaubsdevise. Nichts für Wasser-Schumis.

Die Zeit zerfließt. Bis zur nächsten Kanalhürde. Schleusen rhythmisieren das Bordleben und sind immer für eine Abwechlung gut. Aber die viel gepriesene Gemütlichkeit einer Hausbootreise ist am ersten Tag noch Freizeitstress. Besonders die écluse. Hier am Rhein- Marne-Kanal sind die Schleusen vollautomatisch gesteuert, erspähen unsere Pénichette mit Radarsensoren und öffnen sich rechtzeitig zum Einchecken. Welch ein Glück. Oder wie schade. Denn die gute alte Kanalzeit ist perdu. Es gibt keinen Schleusenwärter mehr, der mit Schnauzbart und Muskelkraft die schweren Tore auf- und zukurbelt.

Xouaxange. Ein verschlafenes Dorf. An der Uferböschung rammen wir Pflöcke in den Boden und täuen „Grand Moulin“ daran fest. Ein lauschiger Ankerplatz. Pappeln säumen den ehemaligen Treidelpfad, den heute Radfahrer und Jogger schätzen. Ein paar ältere Männer hocken am Ufer und halten ihre Angeln ins Wasser. Dazu scheint der Mond drall durch das Kojenfenster. Ein Hausboot, das ist wie ein schwimmendes Ferienhaus oder ein Aqua-Wohnmobil. Unsere Pénichette hat drei Kabinen mit Schränken, Stauräumen und Waschbecken, zwei winzige Nasszellen mit Dusche und Marine-WC, wo man per Handpumpe das Klo in den Kanal entleeren kann, eine komplett eingerichtete Küche, einen geräumigen Hecksalon und natürlich ein Sonnendeck.

Hausbooturlaub. Das ist eine Melange aus Individualität (My boat is my castle), ein bisschen Abenteuer (der Thrill der Schleusen!), Erholung (Kombination aus Aktiv- und Passivurlaub), viel Naturerfahrung (Wiesen, Felder, Wälder) und überhaupt ein anderer Blick auf die Welt (Wasserperspektive). All das hat seinen Preis: eine Pénichette für vier Personen kostet in der Hauptsaison ab 6.000 Franc (rund 1.000 Euro) die Woche plus Kaution, in den Monaten April und Oktober gibt es Lockangebote für 4.000 Franc inklusive Fahrräder.

Infos: Auskünfte: Französisches Fremdenverkehrsamt, Westendstraße 47, 60325 Frankfurt am Main. Tel: (01 90) 57 00 25, Fax: (01 90) 59 90 61 (jeweils 1,21 DM/Min.) E-Mail: franceinfo@mdlf.de Internet: www.franceguide.com Bootsverleih: Locaboat Plaisance, Postfach 867, 79008 Freiburg, Tel.: (07 61) 2 07 37-37, Fax: -73. www.locaboat.de Literatur: Karin Brundies, Gerd Fleischhauer: „Rhein-Marne-Kanal Handbuch“. Deutscher Seglerverlag, Hamburg 1990, 136 S., DM 19,80. Michel-Paul Simon: „Die Kanäle Frankreichs“. Heel-Verlag, Königswinter 1999, 179 S., DM 78,04.David Edwards-May: „Binnengewässer Frankreichs. Alle schiffbaren Flüsse und Kanäle“. Delius Klasing Verlag, 5. überarb. Auflage, 1997, 240 S., DM 78,00.