Stimmen aus dem Weltraum

Mit Hamburganbindung: „Die Aeronauten“ und ihr neues Album „Bohème, pas de problème“  ■ Von Patricia Wedler

Bohème, pas de problème: Das sind die Aufzeichnungen fünf nonchalant dreinblickender Anzugträger, die mit „Patates“ in den Taschen und dem „Finger“ am Abzug auf „Safari“-Tour gehen. Und das kommt auf dem neuen Tonträger mit soviel Swing-Zwang und Durchschlagskraft daher, dass man Stimmen aus dem Weltraum sagen hört: „Immer schön die Klamotten zusammenhauen.“

Bohème, pas de problème: der von Christiane Rösinger entliehene Titel als trotzig-ironisches Begriffsspiel, das sich Vereinnahmungstendenzen entwindet wie ein glitschiger Aal. Und er imaginiert eine Haltung, die es den fliegenden Schweizern erlaubt, den romantischen Verklärern ein „Nein“ und den nüchternen Buchhalternaturen ein „Jetzt erst recht“ vor die Füße zu werfen. So entziehen sich Die Aeronauten sowohl dem Entwurf genialer Künstlerkreise à la Puccinis La Bohème als auch einer Zuordnung zu den so genannten BoBos, also den bourgoisen Bohèmiens.

Es ist Sommer, als Die Aeronauten sich 1991 gründen. Mit 1:72 besteigen die Ostschweizer den Modellflieger und treten eine lange Reise an. 1:72, das sind die Aeronauten und ihre kleine Welt, auf dem Weg nach Hause, das sich auch immer in der Provinz verortet. Flieger, die konzentrische Kreise der Selbstbeschreibung in den Modellhimmel kratzen. Zwei Jahre später heißt die Parole Gegen alles, und die fünf Freunde ziehen in der Rüstung des romantischen Helden gegen den Rest der Welt oder auch nur die eigene Befindlichkeit.

Dann Schnitt. Jetzt Musik platzt in die eidgenössische Heimatkulisse. Die Aeronauten wollen es wissen. Raus aus der Provinz, raus aus der Nabelschau, rein in die Schönheit der Bläsersätze und die Sprache des Instrumentalstücks.

Bald darauf schiffen sie sich dann Richtung Honolulu ein, und von nun scheint das Leben ein Blütenkranz. Honolulu, das ist die Skizze einer Utopie, die Illusion in der Illusion, der Ort, der überall dort existiert, wo man gerade nicht ist. Ein onomatopoetischer Taschenspielertrick, der nichts sagt und doch alles verspricht.

An diesem Punkt tauschen die Leichtmatrosen ihre Uniformen gegen fünf persilweiße Anzüge und sind fortan die Bohème-Gang. Eine Verschiebung des eigenen Horizonts, der sich, in der Provinz begonnen, gleichsam über die Schweiz, Europa und den großen Teich hinaus ins Abstrakte, Utopische, Extraterrestrische katapultiert.

Was nicht verwundert, da Oliver Maurmann a.k.a. Oliver M. Guz Verschwörungstheorien, Außerirdische und Hohlweltsysteme zu seinem Aufklärungsgebiet gemacht hat. Aber schließlich hat er schon vor längerem sein Geheimnis preisgegeben. Nach dem Rauswurf aus dem Raumschiff zwecks Karma-Abarbeitung aus einem früheren Leben, sei er zur Daseinsfristung in den Erdlings-Städten verdammt, um nur einer Mission genüge zu tun: Boogie Woogie für die Welt.

Ein Mann, der den Country durch den Fleischwolf dreht, den Blues im Schleudergang auf links zieht und mit der Welt den Kohlenstoff-Limbo tanzt. Geboren im Sternzeichen des Boogie Woogie mit Aszendent Weißwein. In seiner Freizeit ebenfalls Frontmann der Gruppe Guz und Mitglied der Unterhaltungsterrorcombo für jeden Anlass, Die Zorros. Ein Besessener also, eine von der Sorte Verrückter, die die Welt braucht, um nicht am eigenen Wahnsinn bankrott zu gehen.

„Du weißt, man weint bei einer einfachen Enttäuschung, bei einer doppelten bringt man schon wieder ein Lächeln zuwege“, heißt es in Alexander Kluges Chronik der Gefühle. Die Aeronauten haben davon ihre eigene Übersetzung: „Ein schlechter Grund für heute, zwei schlechte Gründe für morgen, doch es braucht drei schlechte Gründe, damit ein guter draus wird, und dann ist Schluss mit dem Geheul.“

Aber auch wenn der „Sommer der Liebe“ proklamiert wird und die Flüsse nicht mehr schwarz sind, bleibt doch eines klar: „Wenn man weiß, wie es sein muss, hat man's im Leben schwer.“ Zum Glück lassen Die Aeronauten niemanden allein.

Die Aeronauten, Bohème, pas de problème, ist bei Make up/RecRec erschienen