Ungehörte Appelle an die Courage

Das FrauenNetzwerk lud zum „Bündnis für den Frieden“ in die Gethsemanekirche ein. Etliche Ex-DDR-Bürgerrechtlerinnen gaben dem „Frieden eine Stimme“, Daniela Dahn gab sich wütenden Schuldzuweisungen hin – aber nur wenige hörten zu

von TOBIAS RECKLING

Als das Berliner FrauenNetzwerk, ein Zusammenschluss aus 55 Frauenprojekten, in der vergangenen Woche per E-Mail zu einem „Bündnis für den Frieden“ in die Gethsemanekirche einlud, wollte man eigentlich nur warnen. Vor „der zerstörerischen Logik der Gewalt“. Vor sich in Rache äußernder Verzweiflung nach den Attentaten auf das World Trade Center. Bereits ein paar Tage später war es dafür schon zu spät. Am Montag konnte man nur noch zur Beendigung der inzwischen begonnenen Angriffe auf Afghanistan aufrufen. Dass kaum Männer zu der von Frauen organisierten Veranstaltung gekommen waren, hätte nicht verwundern müssen. Dass aber auch das weibliche Publikum trotz der Aktualität dünn gestreut war, überraschte. Die schlichten braunen und weißen Kirchenbänke waren nur zu zwei Dritteln besetzt. Vielleicht war auch nur der Regen schuld. Am Programm konnte es jedenfalls nicht liegen.

Etliche mehr oder weniger bekannte Gäste waren in den 1989 als Anlaufstelle der DDR-Opposition zu Berühmtheit gelangten Bau eingeladen worden. Und selbst diejenigen, die ihre Zustimmung erklärt hatten, aber selbst nicht kommen konnten – wie Christa Wolf oder Nino Sandow –, wurden genannt. Schließlich wollte man „dem Frieden eine Stimme geben“, und unbekannte Stimmen will nun mal selten jemand hören. Und unterschiedlich sollten sie auch sein, wütend bis nachdenklich, wie die vor dem Altar stehende Pastorin der Kirchengemeinde, Charola Ritter, einleitend betonte.

Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können: Die inzwischen 60-jährige Schauspielerin Angelika Domröse („Paul und Paula“) rezitierte einen Text des Dramaturgen und Schriftstellers Thomas Barsch. Gina Pietsch sang von „empfindlichen Feinden“ und „nebensächlichen Zielen“. Ihr folgte Daniela Dahn und gab sich wütenden Schuldzuweisungen an weltweit agierende Konzerne als „Terroristen der Ökonomie“ und den globalen Kapitalismus als Ursache des Terrorismus hin. Selbst vor Außenminister Fischer machte die von den Medien zur „Stimme des Ostens“ hochstilisierte Schriftstellerin und Ex-DDR-Bürgerrechtlerin nicht Halt: Sie bescheinigte ihm eine „Unterreaktion im Denkvermögen“.

Aber auch auf den Kontrast zwischen dem Islam und dem Terrorismus, zwischen den Taliban und dem afghanischen Volk sollte hingewiesen werden. Eine Sprecherin des Demokratischen Frauenverbands Afghanistan erzählte von der Armut des zerstörten Landes, von den Opfern des ungeliebten Regimes. „Krieg gegen Terrorismus muss kein Krieg gegen ein Volk sein“, war ihr endgültiges – von einer in Berlin lebenden türkischen Lehrerin um „Was hat das mit dem Islam zu tun“ – ergänztes Statement.

Doch weder die Sängerin Ruth Homann mit ihren in der guten Akustik der Kirche zur vollen Geltung kommenden Gospelsongs noch Ursula Werner vom Maxim Gorki Theater mit ihrem eindringlichen Appell an die Zivilcourage wider den Konformismus konnten die allmähliche Leerung des Saals verhindern. Ein Übriges erledigte die Schauspielerin Elisabeth Richter mit ihrer langweiligen, nicht enden wollenden Geschichte über den Dalai Lama und einen Kampfsportmeister, die ohnehin niemand so richtig verstand. Einige gingen deshalb, andere folgten dem Beispiel der schon seit dem Vorredner schlafenden älteren Frau in Reihe sechs oder gaben sich ausführlichen Betrachtungen der Decke hin. Auch der aus allen erdenklichen Positionen fotografierende japanische Tourist oder die zwei gelangweilten Kameramänner waren für Ablenkung gut.

Vielleicht hätte Charola Richter am Ende den Link zur Realität sogar noch hinbekommen, aber aufgeschreckt durch die fluchtartige Abwanderung der Zuhörer wurde sie vorzeitig unterbrochen. Sie bekam noch eine weiße Rose wie alle anderen KünstlerInnen auch. Unter ihnen war außer den begleitenden Musikern mit dem Sänger und Autor Jürgen Eger nur ein Mann.

Das übrig gebliebene Publikum sang am Schluss gemeinsam – wie schon während des Golfkrieges und der Bombardierung Jugoslawiens – das Kirchenlied „Dona nobis pacem“ („Gib uns Frieden“). Wie das wohl geklungen haben muss, als vor fast auf den Tag genau zwölf Jahren tausende, vor der Volkspolizei und dem MfS in die Gethsemanekirche geflüchtete Menschen mit ebendiesem Lied um den Verzicht auf Gewalt baten? Schwer zu sagen, denn dazu waren es an diesem Tag einfach zu wenige.