schwerpunkt griechenland (3)
: Ioanna Karystiani, die Nostalgikerin

Schiffbruch der Frauen

Alle Männer der nördlichsten Kykladeninsel Andros sind zur See gefahren, seit Menschengedenken. „Die Wache“ von Nikos Kavvadias, ein Klassiker der modernen griechischen Literatur, berichtet vom Leben solcher Männer. Was aber die Frauen tun, die sie sitzen lassen und die kaum davon träumen können, die Insel zu verlassen, hat jüngst Ioanna Karystiani in ihrem Buch „Die Frauen von Andros“ erzählt. Für ihren ersten Roman erhielt sie 1998 gleich den griechischen Staatspreis für Literatur. Das Buch ist kein Racheakt an der men’s world, eher ein selbstbewusstes, literarisch ebenbürtiges Pendant.

Die zurückgebliebenen Strohwitwen auf Andros müssen den unsteten Lebenswandel ihrer Göttergatten kompensieren. Die meisten fühlen sich, als ob es ihre bessere Hälfte wäre, die auf der anderen Seite der Erdkugel umherschippert. Aus dem Leben der Männer sind sie ausgeschlossen wie die heilige Mutter Gottes aus der Trinität. Alle zwei oder drei Jahre einmal bekommen sie ihre Männer für wenige Monate zu Gesicht. Die vollziehen dann heftig die Ehe und legen stolz den Keim für ihre Nachkommenschaft, welche die Mütter allein zu erziehen haben. Wo das Oberhaupt der Familie durch Abwesenheit glänzt, müssen die Frauen einspringen und den Laden schmeißen. Bei Mastix und Likörchen teilen sie das Schicksal des ungelebten Lebens, aber Nähe entsteht kaum. Ihre Wunden hüten sie eifersüchtig und im Verborgenen.

Das Schicksal spielt – wie je in griechischen Tragödien – mit den Menschen: „Treffer, versenkt“. Die Männer erleiden Schiffbruch, die Frauen nicht minder. Ihre zerbrochenen Ehen, ihre unerfüllten Lieben scheinen von einer für alle menschlichen Wünsche blinden und für alle Klagen tauben Macht gestiftet. Selbst noch für die Jüngeren, die englisch sprechen, Stickereien hassen und wie die Schlote rauchen, scheint diese Bestimmung unausweichlich: Einen Seemann zu heiraten, das heißt, den Schwarzen Peter zu ziehen.

Also wieder ein Buch über die griechischen Sitten und Gebräuche, über „schwarztragende Frauen und halbverwelkte Vergißmeinnicht“, wie es der ketzerische Autor Kondodimos ausdrückte? Tatsächlich beschreibt Karystiani nostalgische Schäferstündchen reinsten Wassers. Aber das Meer, in das alle Erzählstränge münden, ist alles andere als idyllisch. Die Witwen – Frauen mit dem Rücken zum Betrachter – wenden sich ab vom unheilverkündenden Blau, doch der Blick auf den Horizont ist auf der Insel unvermeidlich: Andros, das Frauenhaus, das Mutterschiff, liegt mitten in einem Massengrab.

Ioanna Karystiani, 1952 auf Kreta geboren, heute auf Andros lebend, hat sich in Griechenland zunächst als Cartoonistin einen Namen gemacht. Aber Gefahr, in ihrem volkskundlichen Roman eine Karikatur der griechischen Wirklichkeit zu zeichnen, läuft sie nicht. Das Buch dieser „Seelentaucherin“, das auch in Deutschland hoch gehandelt wird, hielt sich wochenlang auf den griechischen Bestsellerlisten. Es beschreibt eine auch für die Griechen fremde, versunkene Welt; die aber Karystiani mit ihrer Sprache anrührt und so vollständig und glaubwürdig zum Leben erweckt. MANUEL GOGOS

„Die Frauen von Andros“. Aus dem Griechischen von Norbert Hauser, Suhrkamp, Ffm. 2001, 293 S., 39,80 DM (20,35 €)„Die Erben des Odysseus“. Griechische Erzählungen der Gegenwart. dtv, München 2001, 263 S., 19,50 DM (9,97 €)