schwerpunkt griechenland (2): Antonis Sourounis, der Zocker
Misserfolg vereint
1960 kam Sourounis nach Köln, 18-jährig. Da waren seine Eltern Gastarbeiter. Er verdiente sein Geld gelegentlich als Waldarbeiter, Hotelboy, Barkeeper, als Matrose, Tavernenwirt oder Bankangestellter. Seine eigentliche Passion aber war – neben dem Schreiben – immer das Spiel im Kasino. Er legte seine Abendgarderobe an wie ein alter Krieger seine Rüstung, machte die Nacht zum Tag und gab sich die Kugel.
So viel er erlebt hat, soviel hat er zu erzählen. Dafür liebt man ihn in Griechenland. Tiefgründig und zärtlich nannte die griechische Tageszeitung Eleftherotipia seinen Blick auf die Menschen am Rand der Gesellschaft, den er kennt wie seine Westentasche. Dass er 1995 den Staatspreis für Literatur erhielt, hält „der Zocker“ – der selbst nicht liest – für einen Irrtum.
Aber er musste erst nach Griechenland und ins Griechische zurückgehen, um ins Schreiben zu kommen. Dabei spielen seine Bücher in Deutschland. Bevor er sich als professioneller Schriftsteller auf die Insel Hydra absetzte, hat er es am längsten in Frankfurt ausgehalten und im Kasino von Wiesbaden, wo schon Dostojewski sein letztes Hemd verlor. Hier spielt auch Sourounis’ Roman „Der Rosenball“. Die Spielsucht schiebt er seiner Hauptfigur Noussis in die Schuhe, der wie Sourounis selbst die Vorstädte Thessalonikis gegen die Spielkasinos Europas eingetauscht hat. Beim trockenen Klang der Kugel und der einsamen Stimme des Croupiers hängen Noussis Hände nutzlos herunter, sobald sie keine Jetons halten. Er hofft nicht auf das ewige Leben, er hofft auf den täglichen Gewinn. Ein altersschwacher Roulettetisch löst in ihm Rührung aus wie der Anblick eines toten Freundes.
Aber letztlich sind es nicht allein derartige Interna, ist es nicht nur die Psychopathologie des Spielers als eines Besessenen, die Sourounis fesseln. Es sind ebenso die „Mitspieler“ – so der Titel seines ersten Romans von 1977, der in Köln spielt. Diese Stammkunden knüpfen ihre Beziehungen in den Pissoirs an, wo sie einander zur Seite stehen. Keiner weiß viel vom anderen, sie sind nur unter Spitznamen bekannt, ihre Vergangenheit bleibt ihr Geheimnis, ihr einziger gemeinsamer Nenner ist das Spiel. Abgehalfterte, exzentrische Kreaturen, deren Gestiken und Mimiken, deren Idiosynkrasien Sourounis studiert hat, und die er darum mit größter Treffsicherheit beschreiben kann. Ungeduldig, aber beharrlich arbeiten sie zielstrebig auf ihren eigenen Untergang hin. Vor Erwartung und Unruhe altern sie schneller und in kürzester Zeit verlieren sie alles, auch ihre Jugend und Schönheit. Sie vergessen sogar, welches Geschlecht sie haben.
Doch umso mehr sie verlieren, desto ruhiger, nachdenklicher und sanfter werden sie. Neben dem Neid können sie eine ungeahnte Solidarität empfinden. Wenn einer aus ihren Reihen ein gutes Spiel verliert, dann wogt die Enttäuschung, „als wäre vor ihren Augen jemand umgebracht worden, der für ihre Rechte kämpfte“. Der Misserfolg vereint, und sie beginnen einander zu ähneln „wie verschollene Geschwister aus einer auseinandergebrochenen Familie“. Bis sie eines schrecklich schönen Tages nichts mehr zu verlieren haben.
Darum geht es: Wenn Noussis um halb vier Uhr morgens Feierabend hat, betritt er am Frankfurter Hauptbahnhof eine Halbwelt aus Betrunkenen, Fixern, Huren, Zuhältern und Obdachlosen, von Schlafenden und im Sterben Liegenden. Hinter allen Städteporträts und intimen Milieuschilderungen geht es Sourounis um die Menschen, und hinter jedem Spiel sieht er ihr Schicksal.
Sourounis hat auf Hydra die Nächte seines urbanen Lebens im Bauch der Kasinos gegen Tage in griechischer Landschaft vertauscht, Glücks- und Pechsträhnen gegen Ebbe und Flut. Der Nachtmensch ist zum Frühaufsteher geworden. In den Morgenstunden diktieren ihm seine Figuren den Romanverlauf. Er zerbricht sich nicht länger den Kopf und schreibt „ohne zu denken“ Bücher, die sogar er selbst lesen würde.
MANUEL GOGOS
„Der Rosenball“. Roman. Aus dem Griechischen von Gesa Schröder, Piper 2001, 480 S., 43,99 DM (22,49 €) „Kleine Worte – Große Worte“. Eleni Torossi im Gespräch mit griechischen Schriftstellern. Romiosini Verlag, Köln 2001, 32,80 DM, (13,70 €)C. Gianacacos, St. Georgiorgakis (Hrsg.): „Deutschland, Deine Griechen“. Anthologie. Baden, Gutach 1998, 444 S., 39,80 DM (20,35 €)
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