Muscharraf verschafft sich Einfluss

Nach den Ausschreitungen in Pakistan greift der Präsident durch. Auf dem Spiel steht nicht nur seine Macht, sondern auch das Schicksal der Flüchtlinge

von BERNARD IMHASLY

Die Unruhen in den pakistanischen Grenzstädten Quetta und Peschawar vom Montag haben gestern zu umfassenden Sicherheitsvorkehrungen geführt. In beiden Städten wurden die Straßen um die Moscheen abgesperrt, so dass sich nach dem Mittagsgebet nicht wie sonst Protestzüge formieren konnten. Die Demonstrationen erreichten daher nicht mehr die Intensität des Vortags. Allerdings meldeten pakistanische Nachrichtenagenturen aus einem Dorf 25 Kilometer außerhalb Quettas den Tod von drei Demonstranten.

Den Behörden geht es nicht nur darum, den Gegnern der Allianz die Beherrschung der politischen Agenda zu verwehren. Zunehmend wird in den beiden Grenzprovinzen zu Afghanistan auch die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und für Afghanistan blockiert. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk musste seine Arbeiten an neuen Lagern einstellen, nachdem Demonstranten am Montag ihre Wut an den Büros und pakistanischen Mitarbeitern ausgelassen den hatten. In der Grenzprovinz wurden zudem zwei Büros von NGOs in Brand gesteckt.

Arrest für Islamisten

Zu den Maßnahmen der Regierung gehört auch die Arrestierung von weiteren drei führenden Mullah-Politikern, die offen zur Gewalt gegen amerikanisches Eigentum aufgerufen hatten. Dabei handelt es sich um den Führer der islamistischen Partei Jamiat Ulema-e-Islam, Maulana Fazal ur Rahman, den Leiter der protalibanischen Afghanischen Verteidigungsrates, Samuil Haq, und Azim Tariq, Chef der islamischen Partei Sipah-e-Sahaba.

Neben den Hausarresten für radikale Mullahs macht sich Präsident Muscharraf daran, auch in der Armeespitze den Einfluss der Radikalen einzuschränken. Drei der wichtigsten Generäle wurden am Montag, kurz nach Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan, ihrer Posten enthoben. General Mohammed Aziz galt als zweiter Mann in der Armeehierarchie und befehligte als Kommandant der Lahore-Region das wichtigste Armeekorps. Er wird nun auf den Posten des Generalstabschef weggelobt.

Aziz bekennt sich offen zur sunnitischen Deobandi-Sekte. Sein Kollege General Muzaffar Usmani, der von seinem Posten als Kommandant des Hauptstadtkorps zurücktrat, gilt als Tabligi, als Laienprediger.

Die erstaunlichste Umbesetzung betrifft General Mahmud Ahmed, den Chef des mächtigen militärischen Geheimdiensts ISI. Laut indischen Quellen wurden General Mahmud die Kontakte mit einem Kaschmir-Kämpfer namens Umar Sheikh zum Verhängnis. Sheikh war 1999 von den Entführern eines indischen Passagierflugzeugs nach Kandahar freigepresst worden und tauchte kurz darauf in Pakistan unter. Nun hat, behaupten indische Zeitungen, die sich auf Geheimdienstquellen berufen, der amerikanische FBI einen Zahlungsauftrag Mahmuds an Sheikh über 100.000 Dollar entdeckt – zugunsten von Mohammed Atta, einem der Attentäter vom 11. September in den Vereinigten Staaten.

Falsche Berater

In Folge weiteren Stühlerückens hat Muscharraf nun in den wichtigsten Regionen von Lahore und Rawalpindi sowie in den drei Korps entlang der Grenze zu Afghanistan Leute seiner Wahl eingesetzt. Mit ihnen und dem neuen ISI-Chef kann er auch eine neue Afghanistanpolitik angehen, die bisher oft nur dem Namen nach neutral war, in Wahrheit aber eine islamistische Pro-Taliban-Linie verfolgte.

Jüngste Beispiel ist die Entsendung einer Delegation von Islamgelehrten, so genannten Ulema, nach Kandahar vor anderthalb Wochen, die von ISI-Chef Mahmud begleitet wurden. Die Gruppe, unter ihnen zwei der gestern in Arrest Genommenen Islamisten, sollte die Taliban-Führung zur Auslieferung Ussama Bin Ladens überreden. Die Wochenzeitung Friday Times hat nun enthüllt, dass die Ulema das Gegenteil taten und Mullah Omar in seiner harten Haltung bestärkt hatten.