Kleiner Nutzen, großer Schaden

Die Erfahrungen mit Kronzeugen sind zwiespältig. Auch der Anwalt Otto Schily wetterte einst gegen den Straferlass

Ende 1999 hatten es die Grünen endlich geschafft. Der „Fremdkörper im rechtsstaatlichen Strafprozess“, wie die Partei es formulierte, war entfernt: Die Kronzeugenregelung, 1989 von der Kohl-Regierung eingeführt, lief ersatzlos aus. Der Entwurf für eine Neuauflage verstaubte in der Schublade von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).

Als erster Kronzeuge der deutschen Justizgeschichte gilt das RAF-Mitglied Karl-Heinz Ruhland. In mehr als dreißig Verfahren sagte Ruhland gegen einstige Gesinnungsfreunde aus – ohne dass es damals schon eine gesetzlich normierte Regelung gegeben hätte. So auch 1972 im Prozess gegen Horst Mahler, dessen Verteidiger Otto Schily damals alles andere als ein Freund der Kronzeugenregelung war. „Das betonte Wohlwollen und die Fürsorge, die dem Kronzeugen Ruhland zuteil wurde“, erklärte Schily damals in seinem Plädoyer, stehe in auffallendem Gegensatz zur richterlichen Skepsis gegenüber Umständen, „die die Erzählungen des Kronzeugen Ruhland infrage stellen konnten“.

Der erste Kronzeuge, dem die gesetzliche Regelung durch die Kohl-Regierung 1989 zugute kam, war der Kurde Ali Cetiner. Im März 1990 verurteilte ihn ein Berliner Schwurgericht wegen Mordes statt zu lebenslänglich, wie es das Strafgesetzbuch fordert, nur zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Zuvor hatte Cetiner bei der Bundesanwaltschaft umfassend über die PKK ausgepackt. Das führte zu einer ganzen Reihe von Prozessen gegen andere PKK-Mitglieder. Dabei spielte es keine Rolle, dass Cetiner seine Aussagen gleich in mehreren verschiedenen Versionen machte.

Gegenüber diesen Erfahrungen aus dem Inland haben Befürworter der Kronzeugenregelung auf die großen Erfolge verwiesen, die andere Staaten damit vorzuweisen hätten. So gelang den italienischen Behörden in den 70er- und 80er-Jahren durch Arrangements mit den Abtrünnigen tatsächlich ein Einbruch in die Strukturen der Roten Brigaden (BR). Allerdings kam den Ermittlern der beginnende Zerfallsprozess der BR zu Hilfe.

Bei Mafiamitgliedern war die Kronzeugenregelung schon weit weniger erfolgreich. Nach anfänglichen spektakulären Erfolgen schlug die Mafia mit brutalen Attentaten auf Fahnder, übergelaufene Bandenmitglieder oder deren Familien zurück. Die Mafia zu zerschlagen, ist bis heute nicht gelungen. Stattdessen brachte sich die italienische Justiz zeitweise selbst an den Rand der Zerrüttung.

Gerade bei extrem-islamistischen Attentätern könnte sich diese Erfahrung wiederholen. Wer ohne Zögern das eigene Leben aufs Spiel setzt, wird sich durch eine Strafmilderung kaum zur Zusammenarbeit mit den Behörden ködern lassen.

OTTO DIEDERICHS