Materiezustand

Physiker stellten einen zuvor nur theoretisch berechenbaren neuen Materiezustand her

Die Nennung der Nobelpreisträger für Physik löste auch dieses Jahr Freude in deutschen Landen aus. Unter den Preisträgern war wie in den Jahren zuvor auch ein Deutscher. Neben zwei US-Amerikanern, Eric A. Cornell, vom National Institute of Standard and Technology in Boulder, im US-Bundesstaat Colorado, und dem an der University of Colorado, ebenfalls in Boulder, tätigen Carl E. Wiemann, erhält der 1957 in Heidelberg geborene Wolfgang Ketterle die Kaiserkrone der Wissenschaften. Ausgezeichnet wurden die drei Physiker für die Herstellung eines bisher nur theoretisch bekannten Materiezustandes, des so genannten Bose-Einstein-Kondensats.

Einen Wehrmutstropfen jedoch müssen die deutschen Forschungspolitiker verkraften. Ketterle hat schon vor elf Jahren der deutschen Forschungslandschaft den Rücken zugekehrt. Seitdem forscht er an dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA. Damit erhält zum dritten Mal in den letzten vier Jahren ein im Ausland tätiger Wissenschaftler einen Nobelpreis.

Den drei Nobelpreisträgern ist es nach Angaben der Akademie gelungen, den 70 Jahre zuvor theoretisch berechneten Materiezustand herzustellen. Der als Bose-Einstein-Kondensat bezeichnete Zustand ist besonders rein und kontrolliert, etwa in der Art, wie ein Laserstrahl eine besonders reine Form des Lichtes ist.

Die Nobelpreisträger hätten „Atome dazu gebracht, ‚unisono zu singen‘“, teilte die Akademie mit. „Die neue ‚Kontrolle‘ über die Materie, die diese Technik bedeutet, wird umwälzende Anwendungen unter anderem bei Präzisionsmessungen und in der Nanotechnologie zur Folge haben.“ Die Experimente der Forscher könnten als ein Anfang zu einem Laserstrahl mit Materie anstelle von Licht gesehen werden, hieß es. So könnte ein solcher Atom-Laser künftig zur Herstellung von Schaltkreisen benutzt werden, die viel kleiner sind als die heutigen.

Die theoretischen Grundlagen für die Experimente der Forscher hatte bereits 1924 der indische Physiker Satyendra Nath Bose gelegt. Albert Einstein hatte Boses Berechnungen weiterentwickelt. Daher hat der Materiezustand auch seinen Namen. 1995 gelang es den Forschern, den Zustand bei großer Kälte im Labor herzustellen. Sie schufen dabei den kältesten Ort des Universums: die Temperatur lag nur wenige millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt, der bei minus 273,15 Grad Celsius liegt. Gasatome, die bei normalen Temperaturen in ständiger Bewegung sind und wie Billardkugeln aufeinander prallen, formieren sich unter solch niedrigen Temperaturen in Reih und Glied. In diesem Zustand können sie leichter kontrolliert und ihre Reaktionen vorhergesagt werden. Der fünfte Aggregatzustand dient den Forschern heute vor allem noch als Testlabor für viele Aspekte der Quantenphysik. So hat die Gruppe um Cornell, Wiemann und ihre Kollegin Elizabeth Donley kürzlich ein Bose-Einstein-Kondensat so lange mit Magnetfeldern traktiert, bis es in einer „Bosenova“ – einer Miniatur-Supernova – explodierte. WLF