Jodeln vom Mond bis zur Hermannstraße

Vor 30 Jahren brachten die Amerikaner ein Auto auf den Mond, spielten Country-Musik ab und ließen Whisky zurück. Über die Gründe des eigenartigen Unternehmens wird noch heute spekuliert. Einer heißt: Jimmie Rodgers

Die Kipsigi in Ostafrika nannten ihre Gottheit „Tschimmieroscha“

von FALKO HENNIG

Kaum ein Himmelskörper, vielleicht abgesehen von der Erde, spielt in der amerikanischen Volksmusik und ihren Ablegern eine größere Rolle als der Mond. „My Swiss Moonlight Lullaby“ oder Johnny Cashs „Fields of Diamonds in the Sky“ künden genauso davon wie Hank Williams’ „Howling at the Moon“. Schon der Vater der Country-Musik, Jimmie Rodgers, sang „Roll Along Kentucky Moon“ und, 1930, von der Sehnsucht eines Gefangenen nach „Moonlight and Skies“.

Da war er schon als „Americas Blue Yodeler“ weltberühmt und sogar zu Wohlstand gelangt, so dass er seine irrationale Gier nach Automobilen mit immer neuen Modellen stillen konnte. Seine schwermütigen „Blue Yodels“, die alpenländische Jauchzer mit schwarzem Blues verbanden, waren zu seinem Markenzeichen geworden.

Doch auch der Wohlstand und viel vom Arzt verschriebener Whisky konnten Rodgers frühen Tod mit gerade 35 Jahren an der damals unheilbaren Tuberkulose nicht verhindern. Die immensen Anstrengungen der Amerikaner, den Mond zu erreichen, sind nach diesen traditionellen Liedern in ihrem Nationalcharakter verwurzelt. Doch ist streng geheim und nur wenigen Eingeweihten bekannt, welche Überraschung die ersten Männer 1969 auf dem Mond erlebten. Ein Fabelwesen begegnete ihnen, das Autos forderte und Whisky.

Der Stamm der Kipsigi in Ostafrika hätte sofort gewusst, um wen es sich handelt. Sie hatten Schellackplatten von Jimmie Rodgers gehört und waren von den abwechselnden Brust- und Falsettgesang so beeindruckt, dass sie den Country-Sänger zu einer Gottheit erkoren, die sie „Tschimmieroscha“ nannten und den sie sich als eine Art Zentauren vorstellten, halb Antilope und halb Mensch. Die Jungfrauen der Kipsigi wendeten sich bei ihrem Pubertäts-Ritus an ihn und luden ihn mit Liedern zum Tanz ein. Doch aus einem bestimmten Grund war Tschimmieroscha nie erschienen.

Die Ursache lässt sich aus einem anderen Country-Klassiker erahnen, aus „Ghostriders in the Sky“. Als 1971 Apollo 15 startete, hatten die Raumfahrer ein Automobil an Bord, das nicht weniger als 40 Millionen Dollar gekostet hatte. Einige Stunden nach der Landung kurvte der Lunar Rover zu Country-Musik durch die Mondlandschaft. Man kann spekulieren, welche Hillbilly-Titel die Astronauten dort spielten, vielleicht Jimmie Rodgers’ „Mississippi Moon“. Doch war die Gier des Zentauren nicht zu stillen, so dass die Amerikaner nach der Lieferung von zwei weiteren Lunar Rovern lieber die Mondflüge ganz ließen und das Apollo-Programm für immer einstellten.

Die Autos auf dem Mond sind, wie es heißt, noch fahrtüchtig. Ein eigenartiges Wesen, halb Mensch mit ausgemergeltem Oberkörper, halb gefleckte Antilope, eine Bahnarbeitermütze auf dem Kopf, kommt herangeritten, legt seine Gitarre auf den Beifahrersitz und fährt durch das Meer der Stille. Manchmal hält Tschimmieroscha an, nimmt einen großen Schluck vom Whisky, dem ihm Apollo 14 hinterlassen hat, greift sich die Gitarre und schlägt einige Akkorde. Er pfeift einen durchdringenden Ton, wie von einer alten Dampflok, singt „Waiting for a Train“. Dann blickt das Wesen zur blau aufgehenden Erde, schließt die Augen und jodelt so traurig, als wäre es der Blues. Und nicht auszuschließen ist, dass Tschimmieroscha heute nach Berlin kommen wird, immerhin in die Hauptstadt des Landes, aus dem die Hommage „Blue Yodel“ für Herbert Wehner der Band FSK erklang: „Wer mit 20 nicht Anarchist war, der wird kein guter Demokrat.“ Passenderweise in Kreuzberg wird sich das Wesen im Jodelkeller der Adalbertstraße mit Whisky und Bier stärken, dann im Mondauto zur Jodelmeisterschaft in die Hermannstraße fahren, und haushoch gewinnen.

Paul Oliver in: „Recorded Folk Music“, (Mar./ Apr. 1959) Nolan Porterfield: „Jimmie Rodgers“, 1992; die CD „American Yodeling“, bei Trikont. Der Berliner Jodelmeister wird am 13. und 14. 10. beim Oktoberfest auf der Hermannstraße ermittelt, Interessenten bewerben sich bei „Aktion Hermannstraße“, Ladyshop, Hermannstr. 47