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Draht nach Kabul

Eine kleine Agentur versorgt die Welt mit Nachrichten aus Afghanistan

aus Peschawar BERNHARD ODEHNAL

Wie war die vergangene Nacht in Kabul? Mohammed Jakup Sharafat greift zu einem alten Telefon, wählt eine afghanische Nummer, hört lange zu, macht Notizen, wählt eine andere Nummer, stellt Fragen, schreibt wieder ein paar Zeilen. Dann gibt er seine Aufzeichnungen einem Mitarbeiter, der legt sie ins Faxgerät. Am nächsten Tag bringen die Zeitungen seine Meldungen auf den Titelseiten: Vier Bombenopfern und acht Verwundete in einem Dorf nahe des Flughafens Kabul, ein Militärlager nahe Kandahar zerstört, mehrere Raketen in Wohnhäusern eingeschlagen. Sharafat schätzt, dass , mehr als 300 Zivilisten durch amerikanische Raketen starben.

Die Exklusivberichte entstehen in einem Hinterhof in Tombvaan, einem heruntergekommenen Quartier der pakistanischen Grenzstadt Peschawar. Seit 19 Jahren betreibt Sharafat hier die „Afghan Islamic Press“. In einer niedrigen Hütte arbeitet er unter abgegriffenen, großen Landkarten Afghanistans „bis zu 20 Stunden am Tag“. Kurze Pausen gönnt er sich nur zum Gebet – fünfmal am Tag, auf einem zerschlissenen Teppich vor dem Büro.

Die moderne Technik ist Sharafat zutiefst suspekt. Computer, Mobiltelefon, Faxgerät werden von seinen drei Mitarbeitern bedient. Der Chef selbst arbeitet nur mit Telefon und seiner Schreibfeder. „Ich bin ein Mann vom Dorf. Ein islamischer Typ, kein Westler“, erklärt Sharafat. Der 43-Jährige stammt aus einer tiefreligiösen Familie aus der Provinz Nangahar, seine Verwandten kämpfen als Mudschaheddin gegen die Rote Armee. Sharafat floh Anfang der 80er-Jahre nach Pakistan und gründete eine Nachrichtenagentur, „weil ich die Wahrheit über Afghanistan berichten wollte“. Reich machte ihn das nicht. Er lebt mit seiner Familie noch immer im Flüchtlingslager. Seit die Taliban sämtliche ausländische Journalisten ausgewiesen haben, sind jedoch selbst die größten internationalen Agenturen, Fernseh- und Radiostationen auf Sharafats Dienst abonniert. 700 Dollar pro Monat kosten seine handgeschriebene Informationen. Davon abgesehen erhalte er von niemandem Unterstützung, behauptet Sharafat: „Westliche Staaten halten mich für einen Islamisten, den arabischen Regierungen bin ich zu westlich.“

Sharafats wichtiges Kapital sind seine Kontakte. Er hat drei feste und etliche freie Mitarbeiter in Afghanistan und beste Kontakte zu den Taliban. Fast stündlich bekommt er von der Regierung in Kabul neue Schadens- und Opfermeldungen. Sind die glaubwürdig? „Wir lassen sie filtern, durch unsere Informanten überprüfen. Und wir vertrauen auf Gott.“ Bis zu 200 Telefonate führen Sharafat und seine Mitarbeiter täglich. Die Leitungen nach Afghanistan sind schlecht, oft bricht das Gespräch ab. Außerhalb von Kabul und Kandahar sind alle Telefone in Händen der Taliban. „Wir verwenden diese Gespräche nur als Hintergrundinformation“, sagt Sharafat, gesteht den Koranschüler jedoch zu, dass „sie zwar manchmal etwas verstecken, aber uns niemals anlügen“.

Steht er selbst den Taliban nahe? „Meine Agentur ist neutral“, sagt Sharafat. Das wird von Journalisten in Peschawar bestätigt: Sharafat sei immer auf der Suche nach der Wahrheit. Andererseits macht der Agenturchef kein Hehl aus seiner Sympathie für die Taliban. Er hält die Koranschüler für gute Muslime mit ein paar Fehlern („Frauen schlagen und ihnen eine Ausbildung verweigern ist kein islamisches Prinzip“) und er hält Ussama Bin Laden für unschuldig („Der hat gar nicht die Mittel für einen großen Terrorakt“). Sharafat will eher die in Pakistan populäre Verschwörungstheorie glauben, dass der israelische Geheimdienst hinter den Anschlägen auf das World Trade Center stehe. Im Zweifelsfall würde Sharafat immer die islamische Seite verteidigen. Die Amerikaner, sagt er, hätten bis jetzt keine Beweise geliefert: „Solange sie das nicht tun, bleibt Bin Laden unser Gast.“

Bernhard Odehnal ist Auslandsredaktor der Zürcher „Weltwoche“

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