In Stylegewittern

So genannte Pop-Literatur in den Zeiten des Krieges: Christian Kracht und Rebecca Casati lesen heute im Mojo Club  ■ Von Holger in't Veld

Um sich schlecht, hilflos und wütend zu fühlen, braucht es momentan keine Romane. Wer aber in junger Literatur eine Alternative zum Untergang suchte, wird von Christian Kracht und Rebecca Casati herbe enttäuscht. Knapp vier Stunden dauert es, die neuen Bücher von Kracht (1979) und Casati (Hey Hey Hey) hintereinander zu lesen. Das sind zwei Spielfilmlängen inklusive Pause, in der man sich konsequenterweise „die Nazi-Klänge von Throbbing Gristle“ (Kracht) reinziehen sollte. Gerne auch in gekrümmter Haltung und bei abgestellter Heizung: Dann ist einem nach rund 400 Seiten we-nigstens richtig elend und jede Spur einer sozialer Hoffnung – um nicht zu sagen: Utopie – zwischen Stil- bzw. individuellen Existenz-Fragen zerrieben. Es gibt kein Kollektiv, die kläglichen Reste von Ausdruck und Gefühl sind Style-Codes auf drei Zeilen. Oder einfach: gar nichts.

Rebecca Casati kommt – wie Kracht – aus dem Journalismus. Ihre Wirkstätten waren besonders die Pop-Schnittmuster-Beilagen der Süddeutschen Zeitung – das Magazin und das montägliche Jugendblatt jetzt. (Dass ihr Buch auf letzteres Klientel zielen dürfte, zeigt schon der deutlich größere Schriftsatz.) In Hey Hey Hey organisiert ein Berufszyniker sein leidenschaftsloses Leben nach irgendeiner Logik – die Steigerung liegt in der Sinnlosigkeit. Ein klarer Fall von Faserland: Während Krachts Debüt von 1994 die Republik durchreist und dabei noch zu einer Art Bestandsaufnahme kommt, hat Casatis Ansatz mit Erkenntisgewinn nichts mehr zu tun. Der Weg, der nicht das Ziel ist, besteht für ihren Helden darin, sich durchs Alphabet zu ficken. Vor biographischen Zuschreibungen hat sich die Autorin mit einem Kniff gerettet: Ihr „Ich“ ist ein Mann.

Wie schwierig dieser Perspektivwechsel ist, lässt sich dabei auf jeder Seite nachvollziehen, denn „männlich“ ist an Casatis Erzähler wenig. Die Gleichsetzung von Mann und Arschloch, oder besser: die Arschlochhaftigkeit des Mannes als reine Oberfläche, macht Hey Hey Hey zu dem, was es wahrscheinlich sein will: B-Movie-Trash. Vereint mit dem ausschließlich auf bekannte und kaputte Oberflächen konzentrierten Blick auf „die Wirklichkeit“ ist das nicht nur fade sondern auch ein wenig beängstigend: Die Vorstellung, dass dieses Buch die Wahrnehmung sich darin „wiederfindender“ Menschen zusätzlich eineicht, macht wenig Lust auf die Zukunft. Da möchte man sich schon aus notwendiger Opposition den 68ern zugesellen, (wieder) die Grünen wählen oder auch einfach mitten auf der Rolltreppe stehen bleiben, was für Casatis „tut-mir-leid-keine-Zeit“-Ich erklärtermaßen die Hölle ist. Der Kitt, das Leben also, besteht im beständigen Gut-, aber vor allem Schlechtfinden: Buffalos, Bioläden oder auch „verwöhnte Menschen“.

„Der Selbsthaß als Lebensgefühl des Westens“ (FAZ) scheint frühzeitig einzusetzen, schlimmer noch: Er richtet sich gegen andere. Wobei Krachts Buch, das damit gemeint war, sich schon einen Schritt weiter befindet. Von Hass ist bei ihm wenig zu spüren, denn überhaupt ist bei ihm von nichts etwas zu spüren. 1979 entspricht einem auf alt getrimmten Bildband, in dem heutige Pop-Fotografen das Prinzip der Benetton-Anzeigen mit Retro-Collagen durchsetzen; wo Style zwar Fokus, aber nicht mehr Fetisch ist und am liebsten zur Brechung von unerträglicher Realität eingesetzt wird – wie in der Erwähnung der „gar nicht so hässlichen Turnschuhe“ in einem chinesischen Gefangenenlager. Die Charaktere rund um seine absurde Selbstauflösung sind alle gleich flach: vom iranischen Agenten über den rumänischen Exilfürsten bis zu politischen Gefangenen – eine gelangweilte Maskerade der gleichen Figur. Form ist Inhalt? Dann ist beides schlicht und trostlos. Was nicht heißt, dass die Welt in ihrer Schlechtigkeit einfach wäre, doch an einer Erklärung wird sich hier auch gar nicht erst versucht. Es ist halt Krieg – eine besondere Situation, in der Dialektik hintenüber fällt.

Dabei wird Casatis Krieg zu Hause geführt, im Misstrauen und Warten auf offene Flanken zwischen Arbeitskollegen und Geschlechtern, bei Kracht herrscht dagegen eine Art abgestumpfter Transzendenz angesichts des realen Todes. Überleben werden in diesen Welten nur die abgefuckten „Porno-Mädchen“ und Männer, die alles hinter sich lassen, bei denen es keine Rolle mehr spielt, ob sie leben oder sterben. In den Himmel geht es ja ohnehin nicht, dafür sorgt schon die Gier – 6666 Mark waren das Eröffnungsgebot, um 1979 im handschriftlichen Original online zu ersteigern. Die authentische „Number of the Beast“ war wohl zu wenig.

Christian Kracht, 1979, Kiepenheuer & Witsch 2001, 184 S., 34,90 Mark; Rebecca Casati, Hey Hey Hey, Diana 2001, 250 S., 35,11 Mark.

Lesung: heute, 20 Uhr, Mojo Club