kühn kuckt: Harrys Praktikum
„Der Kommissar“ (3sat, immer sonntags kurz nach 23 Uhr)
Mit Stefan Derrick verschwand auch Harry Klein aus den Wohnstuben. Doch ältere Zuschauer wissen: Harry gab es lange vor Derrick. Gelernt hat der ewige Zweite sein Handwerk in Schwarzweiß – bei Herbert Keller, der für die Deutschen nur „Der Kommissar“ war. Der ermittelt jetzt wieder. Sonntags, kurz nach elf, wenn es Nacht geworden ist im 3sat-Land. „Kriminalserie“ heißt es im Vorspann lapidar. Wir dürfen heute getrost sagen: „Mutter aller Freitagskrimis“.
Damals waren die Arbeitsbedingungen viel besser. Das ZDF konnte sich für einen einzigen Kommissar eine ganze Schar von Assistenten leisten: Robert (Reinhard Glemnitz), Walter (Günther Schramm) und den kleinen Harry (Fritz Wepper). Und die blonde Helga. Und das Kaffee kochende Fräulein Rehbein. Der Kommissar (Erik Ode) sah richtig cool aus: Zigarette, Mantelkragen hochgestellt, Hut schief auf der hohen Stirn.
Neulich, 1969, wurde ein junges Mädel tot aufgefunden; in der Schule, im Zimmer ihres Lehrers. Der Kommissar rückt an. Seine Mannschaft verhört den Lehrer. Harry, mit Seitenscheitel und Koteletten, fragt und fragt. Irgendwann sagt der Kommissar: „Schluss jetzt, Harry.“ Der Kommissar ist um die 60. Sein Blick sagt: Ich hab was erlebt im Leben. Er duzt seine Leute, sie nennen ihn nur „Chef“. So wie Fritz Walter, wenn er von seinem Trainer Seppl Herberger sprach.
Der Kommissar glaubt nicht, dass der Lehrer der Mörder ist. Wissen die Schüler mehr? Er lässt sie antanzen und einzeln verhören. Hinterher große Besprechung. Harry: „Das ist eine zähe Bande. Die haben sich nicht einmal versprochen.“ Robert: „Das kann zwei Gründe haben.“ Helga, die sich gerade geschminkt hat: „Entweder sie sagen alle die Wahrheit ...“ Walter, nach einem Zug aus der Pfeife: „... oder sie lügen.“ Harry: „Was meinen Sie, Chef?“
Der Fall löst sich irgendwie von selbst, weil der Lehrer sich schließlich erhängt. Und Harry? Den werden sie 1974 mit Sekt verabschieden. „Ich bin doch nur ein paar Türen weiter“, wird er sagen. Seine Kollegen werden sagen: „Sag diesem Herrn Derrick, wenn er dich nicht richtig behandelt, dann kriegt er’s mit uns zu tun.“
ALEXANDER KÜHN
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