RISIKO DURCH B-WAFFEN: ERST IGNORIERT, JETZT ÜBERBEWERTET
: Kampf der Bakterienkulturen

In den Vereinigten Staaten häufen sich anonyme Briefe, in denen Milzbranderreger gefunden werden. Panik greift um sich, Trittbrettfahrer erlauben sich schlechte Scherze und verschicken weißes Pulver, dessen Harmlosigkeit sich erst nach langwierigen Tests herausstellt. Längst sind Polizei und Medien dazu übergegangen, nicht mehr jede Warnung zu veröffentlichen. Aus dem Kampf der Kulturen ist – zumindest was den westlichen Kriegsschauplatz angeht – ein Kampf mit Bakterienkulturen geworden. Die schärfste Waffe der Terroristen ist die Angst vor der unsichtbaren, möglicherweise tödlichen Gefahr.

Die Bedrohung durch biologische Waffen ist lange kaum wahrgenommen worden. Bioterror schien bis vor kurzem so undenkbar wie die Verwendung von Passagierflugzeugen als Waffe. Dabei hatte Laurie Garrett erst jüngst – wie vor ihr andere Autoren – in ihrem Buch „Das Ende der Gesundheit“ vor globalen Seuchen und Biowaffen gewarnt. Doch eine Risikowahrnehmung für mikrobielle Erreger wollte sich nicht einstellen. Zu fern, zu abstrakt, zu unsichtbar. Und immer wieder wurden frühe Hinweise vergessen: Die japanische Aum-Sekte hatte vor dem Nervengas-Anschlag auf die U-Bahn in Tokio im März 1995 bereits mehrere Attentatsversuche mit Bakterien unternommen. Und vor Beginn des Golfkriegs lagerten etwa 4.000 Kilogramm Milzbranderreger allein in den Labors des Irak. Über teilweise noch giftigere biologische Kampfstoffe, wie Botulinustoxin, verfügen ebenfalls fast alle „Schurkenstaaten“. Allein die Vorräte Saddam Husseins hätten ausgereicht, um die gesamte Weltbevölkerung zu töten.

Von Hollywood-Reißern à la „Outbreak“ meinten wir zwar zu wissen, dass überall auf der Welt bedrohliche Epidemien ausbrechen können. Trotzdem war der Irrtum weitverbreitet, nur die westlichen Labors könnten Biowaffen erzeugen. Eine weitere Unterschätzung des Risikos. Es braucht zwar etwas mehr Ausrüstung als ein paar Teppichmesser, um Milzbranderreger und andere fiese Keime zu kultivieren. Doch die Fertigkeiten dazu bringt fast jeder Biologie-Diplomand mit. Und die technischen Voraussetzungen entsprechen denen eines mittelständischen Brauereiunternehmens.

Seit dem 11. September und seit bekannt wurde, dass einige der Attentäter mit Pestizid-Flugzeugen übten, ist der Blick auf den Himmel getrübt. Propellermaschinen werden ängstlich beargwöhnt. Und jedes weiße Pulver unklarer Herkunft steht unter Verdacht, Krankheiten zu verbreiten oder den Tod zu bringen. Die bisherige Ignoranz einer möglichen biologischen Bedrohung ist in das Gegenteil umgeschlagen. WERNER BARTENS

Der Arzt ist Redakteur der „Badischen Zeitung“