: Die Messen der DJs
Bourgeoisie von gestern, Jugend von heute: „Ein launischer Sommer“ in Düsseldorf vergleicht Bürgermilieu der 20er mit Cliquen der Gegenwart
von MORTEN KANSTEINER
Juli und August waren Gegenwart, ganz entschieden. Die Sprache, die Medien und die Probleme dieser beiden nach Monaten benannten Bühnenhelden aus dem Stück „norway.today“ standen in engem Kontakt zur urbanen Spätmoderne diesseits der Rampe.
Ursprünglich entstammt die Geschichte der jungen Norweger, die sich per Internet zum Selbstmord verabreden, einer Zeitungsmeldung: Der Regisseur Igor Bauersima hat die tatsächliche Begebenheit in der vergangenen Saison zu „norway.today“ verarbeitet und den Text in Düsseldorf selbst inszeniert. Die Produktion brachte ihm viel Anerkennung – nicht zuletzt, mag man vermuten, wegen der Anschlussfähigkeit an aktuelle Anliegen.
Auf Juli und August folgt jetzt am Schauspielhaus „Ein launischer Sommer“. Die Jahreszeit ist also noch immer dieselbe, und doch haben sich die Zeiten geändert.
Im Mittelpunkt von Bauersimas zweiter Arbeit am Düsseldorfer Schauspielhaus stehen einige Müßiggänger, die diversen Epochen entsprungen sein könnten. Etwa der elisabethanischen: Bademeister Anton und seine Freunde erinnern an Figuren wie Falstaff, wenn sie sich zu verschrobenen Lobreden auf alles versteigen, „was an Essbarem reift, was mit Flossen versehen ist, und alle Arten von Schnecken, die in gebildeten Ländern genossen werden.“
Gleichzeitig hat das Stück seine Wurzeln in der Zeit zwischen den Weltkriegen: Es beruht auf einem Roman, den Vladislav Vančura 1926 veröffentlichte. Das tschechische KP-Mitglied spöttelt darin über die wortreiche Untätigkeit des Bürgertums, das vertreten wird durch einen Freibadpächter, einen Priester und einen Offizier. Sie leben in gepflegter Langeweile vor sich hin, aus der sie auch ein vorbeiziehender Seiltänzer und seine Assistentin nur vorübergehend aufscheuchen können.
Bauersima fügt diesen Zeitschichten die Wende zum 21. Jahrhundert hinzu. Aus den Bürgern macht er eine Clique von Twentysomethings irgendwo zwischen den Generationen X und Golf.
Anton veranstaltet Clubabende im Strandbad; der „Major“ – das ist natürlich nur sein Spitzname – arbeitet als Türsteher; und aus dem Priester ist DJ Abbé geworden – womit Bauersima den Spruch, Gott sei ein DJ, zu der präziseren Diagnose abwandelt, dass heute DJs die Messen feiern. Die Überblendung der beiden Milieus, der Bürger der Zwanzigerjahre mit den Nachwuchsentrepreneurs heutiger Unterhaltung, gelingt recht gut. Das resignierte Nörgeln, die Flucht in die Form und ins Private – diese Verhaltensweisen, die Vančura bei seinen Zeitgenossen ausmachte, lassen sich 75 Jahre später erstaunlich leicht wiederfinden.
Hat man diese Pointe allerdings einmal begriffen, kann der Rest des Abends ein wenig langwierig werden. Schließlich ist das äußere Geschehen nicht weiter aufregend: Anton und seine beiden Freunde machen sich nacheinander an die Begleiterin des Seiltänzers Arnoldo heran, während Katharina, Antons Frau, mit dem Artisten anbändelt. Am Schluss ziehen die Objekte des Begehrens wieder ab.
Gewiss: Die Inszenierung hat Unterhaltungswert. Es ist hübsch zu sehen, wie sich die grauen Quader, mit denen Bauersima die Kammerspiele ausgelegt hat, in Tische, Betten oder eine Umkleidekabine verwandeln. Es ist wirklich komisch, wie der Text die Dialoge mit epischen Ansprachen an das Publikum kollidieren lässt. Und die teils sehr jungen Schauspieler sind zur Komödie durchaus begabt. Wenn Birgit Stöger all ihren Sarkasmus in ihre Stimme legt, wenn Christoph Luser, die Lippen linealgerade zusammengezogen, ins Leere starrt, machen auch abgenutzte Witze Spaß. Doch all das reicht nicht, um über die zahlreichen Bekenntnismonologe hinwegzuhelfen, mit denen das Stück durchsetzt ist.
Jede Figur darf, gerne auch mehrfach, ihre Weltsicht ausbreiten. Anton redet den leiblichen Bedürfnissen das Wort, während DJ Abbé sich ganz den Freuden der Theorie hingibt. Der Major outet sich als Dezisionist. Arnoldo und Katharina geraten gar in einen Streit der Systeme: Sie schwärmt von Gemeinschaft, er vom handelnden Individuum.
All das klingt oft arg abgestanden, nach frühem 20. Jahrhundert weit eher als nach Gegenwart. Gelernt hat man nachher nur eins: Die Vertreter der kontroversesten Überzeugungen gleichen sich in ihrer Unfähigkeit zu handeln.
Allein Arnoldo ist zu einer Aktion imstande: Er reist ab. Und er, der Individualist, darf die allseits begehrte Frau mitnehmen. So ist das eben. Das lehrt auch die Autowerbung.
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