NICHT MILZBRAND IST DIE GEFAHR – SONDERN MÖGLICHER ATOM-TERROR
: Blinder Alarmismus

Die Bakterienspürtrupps in ihren gelben und weißen Spezialanzügen lassen die vermeintliche Gefahr so richtig spürbar werden. Kein Abend ohne die entsprechenden Fernsehbilder. Milzbrand ist das Furcht erregende Unwort der vergangenen Tage. Milzbrand und Trittbrettfahrer. Vom Reutlinger Postamt bis hin zum Kanzleramt – überall taucht weißes Pulver auf und entpuppt sich als blinder Alarm.

Doch die Hysterie geht um im Land. Da spielt es keine Rolle, dass landauf, landab die Experten verkünden, in großen Mengen lasse sich der Biokampfstoff nur schwer herstellen. Und es spielt auch keine Rolle, dass eine weit größere Gefahr so deutlich wie noch nie benannt wird – das Strahlenrisiko, falls eine Atomanlage angegriffen wird. Die Reaktorsicherheitskommission des Bundes gibt offen zu, dass es dagegen keinen Schutz gibt.

Aber wenn AKWs gegen Terroranschläge nicht zu schützen sind, dann müssen sie abgeschaltet werden! Auch wenn dadurch kurzfristig ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden entsteht und auch wenn dies bedeutet, dass die Konsumenten vorübergehend ihren Stromverbrauch einschränken müssen. Denn der volkswirtschaftliche Schaden wäre zweifellos größer, wenn eine Atomanlage erfolgreich angegriffen würde.

Allerdings: Selbst wenn die AKWs umgehend heruntergefahren würden, wäre die Gefahr längst nicht gebannt. Zwar würden die Kettenreaktionen unterbrochen, doch die Brennstäbe weiterstrahlen. Ein halbes Jahr „Abklingzeit“ ist mindestens zu beachten; erst dann können die Brennstäbe in ein gesichertes Lager verfrachtet werden. Da derartige Maßnahmen bisher jedoch als undenkbar galten, liegen freilich noch nicht einmal die organisatorischen Voraussetzungen vor. Doch ist dies kein Grund, gar nichts zu tun und das Risiko nicht zu minimieren.

Fast nebensächlich wirken die Milzbrand-Verdachtsfälle, wenn man sich vorzustellen versucht, was ein stundenlanger Kerosinbrand in den AKWs Stade oder Ohu für Folgen haben könnte. Hinzu kommt, dass die Atomanlagen nicht die einzige Gefahrenquelle sind. Auch Chemieanlagen könnten sich für Terroranschläge eignen. Doch selbst bei einem Szenario, das von freigesetztem Dioxin ausgeht, wären die Konsequenzen zumindest überschaubarer als beim atomaren GAU.

Was aber folgt aus diesen Erkenntnissen? Man will weiter prüfen, forschen, analysieren. Viel Zeit bleibt dafür möglicherweise nicht – vor allem nicht, wenn alsbald deutsche Truppen in den Krieg ziehen. KLAUS WITTMANN