PAKISTAN UND INDIEN BUHLEN UM DIE UNTERSTÜTZUNG DER USA
: Kaschmir muss warten

Ein Horrorszenario: Neben dem Krieg in Afghanistan bricht an der Waffenstillstandslinie zwischen dem indischen und pakistanischen Teil Kaschmirs ein zweiter Krieg aus. Provoziert von aus Pakistan eindringenden islamistischen Kämpfern könnte Delhi, so die Befürchtung, militärisch gegen deren innerpakistanische Lager vorgehen. So würde es zum dritten Krieg um Kaschmir kommen – dem ersten mit Atomwaffen im Arsenal.

Als pünktlich zum Besuch von US-Außenminister Colin Powell in Islamabad die indische Armee Stellungen jenseits der Waffenstillstandslinie beschoss, drohte das Szenario Wirklichkeit zu werden. Auch Pakistans gestrige Ankündigung, seine Truppen in erhöhte Alarmbereitschaft zu setzen, verschärfte die Lage. Doch so Besorgnis erregend der Konflikt ist, wahrscheinlich ist ein neuer Krieg derzeit nicht. Einzig Bin Laden und seine Anhänger können ein Interesse an einer Eskalation in Kaschmir haben. So warf die letzte Botschaft von al-Qaida den USA explizit vor, in Kaschmir Hindus gegen Muslime zu unterstützen.

Auch Pakistans Machthaber Muscharraf unterstützt die islamistischen Kämpfer in Kaschmir, da er es sich innenpolitisch nicht leisten könnte, sie wie die Taliban fallen zu lassen. Aber selbst wenn er in Kaschmir den bisherigen Kurs beibehalten wird, kann er an einem Zweifrontenkrieg im Unterschied zu al-Qaida kein Interesse haben. Bei dem Anschlag in Kaschmirs Hauptstadt am 1. Oktober, den eine mutmaßlich mit al-Qaida verbundene islamistische Terrorgruppe verübt hat, starben 38 Menschen. Dieses Attentat sollte Indien provozieren. Muscharraf wiederum wollte Delhi daraufhin beschwichtigen und entschuldigte sich erstmals für einen von Pakistan ausgehenden Anschlag. Damit vollzog er in Kaschmir allerdings keinen Positionswechsel, er will momentan nur keine Unruhe in der Region. Zumal er seine Bereitschaft, die USA in Afghanistan zu unterstützen, ausdrücklich mit dem Kaschmir-Konflikt begründet hatte. Pakistan muss also jetzt den USA beistehen, um, so Muscharrafs Intention, deren Bündnis mit Indien zu verhindern.

Indien demonstriert zwar Härte in Kaschmir, kann aber momentan kein Interesse haben, Muscharraf in Gefahr zu bringen. Ein Sturz des Generals führte lediglich zu einer weiteren Talibanisierung Pakistans. Während Islamabad und Delhi momentan in Kaschmir den Status quo erhalten wollen, buhlen sie um die Unterstützung der USA für die Zeit nach dem Afghanistan-Krieg. Pakistan will den Kaschmir-Konflikt internationalisieren, Indien sucht Unterstützung gegen den Terror in Kaschmir. Die USA versuchen, wie Powells Besuch gezeigt hat, beide bei Laune zu halten. SVEN HANSEN