: Das Ende der Almosen
Eine globale Anti-Terror-Allianz kann nur funktionieren, wenn der Westen die Sorgen der armen Länder nicht länger ignoriert. Klassische Entwicklungshilfe reicht da nicht
Lange Zeit wirkte die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA wie eine Denkbarriere; Analysen über die Ursachen des Terrorismus wurde vorgeworfen, sie zeugten von Sympathie mit den Terroristen. Inzwischen jedoch hat Bundeskanzler Gerhard Schröder den Hunger als Ursache des Terrorismus entdeckt. Zur Eröffnung der Anuga, der größten Nahrungsmittelmesse der Welt, sagte er am vergangenen Wochenende: „Der Kampf gegen den Hunger steht ganz oben auf unserer Liste der Terrorbekämpfung.“ Was aber folgt daraus? So erfreulich es ist, dass der Terror nicht nur mit dem Kampf des Bösen gegen die freie Welt erklärt wird, ist diese Aussage ungefähr so gehaltvoll wie die Forderung, die europäische Einigung müsse vorangetrieben werden. Leerformeln und Symbolik statt Politik.
Eine kausale Beziehung zwischen Hunger und Terrorismus herzustellen greift zu kurz. Aber zweifellos lässt sich trefflich über Armut als Nährboden für Terrorismus debattieren. Armut, so definiert es der jüngste Entwicklungsbericht der Weltbank, ist nicht nur als Hunger zu verstehen – sondern auch als Mangel an Bildung und Gesundheit, als Ohnmacht gegenüber staatlicher Willkür und Schutzlosigkeit gegenüber Katastrophen. Diese Form der Armut liefert sicherlich ein Umfeld, in dem religiöse Rattenfänger, insbesondere unter einer gut gebildeten, aber perspektivlosen Akademikerschicht, leichter Anhang finden. Schneller als über diese These ist aber wahrscheinlich darüber Einigung zu erzielen, wie sich das Verhältnis des Westens zur Dritten Welt für eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrors ändern muss. Denn daraus lässt sich konkrete Politik ableiten.
Einen Schutz gegen Terror gibt es in einer zunehmend vernetzten Welt nur durch enge und effektive zwischenstaatliche Kooperation. Allerdings erfordert dies eine weltweit faire Verteilung der Chancen unter den Partnern. Wenn in einer globalen Anti-Terror-Allianz ein großer Teil der Staaten unter gravierender Armut leidet, während ein verschwindend kleiner im Luxus schwelgt und zugleich bestimmt, wo es in der Welt langgeht, dann ist die Motivation zur Zusammenarbeit gering. Was hat der arme Teil zu verlieren, warum sollte er sich engagieren? Im Kern geht es darum, dass der Westen die Probleme der Entwicklungsländer wirklich ernst nimmt. Nur dann wird sich die vorherrschende Haltung in den armen Regionen dieser Welt überwinden lassen, die sich so umschreiben lässt: „Die Opfer von New York tun uns wirklich Leid, aber wir haben wahrlich unsere eigenen, viel schlimmeren Probleme. Und eigentlich geschieht es den Amerikanern ja ganz recht.“
Zusätzliche Almosen, wie eine erhöhte Entwicklungshilfe, werden es nicht tun. Diese hat bei der Armutsbekämpfung größtenteils versagt, nicht nur aus quantitativen, sondern auch aus strukturellen Gründen. Vergleichsweise geringe Summen werden für tausende, oftmals zweifelhafte Projekte von dutzenden Organisationen unter großem bürokratischem Aufwand ausgegeben – sie sind zwischen den deutschen Organisationen nicht aufeinander abgestimmt, genauso wenig wie auf europäischer oder internationaler Ebene. Diese Hilfe ist eine Dauersubvention ohne strategische Relevanz, von der oft genug nur autokratische Eliten profitieren. Diejenigen Länder, die den Sprung aus der ganz großen Armut geschafft haben, haben dies nicht wegen, sondern trotz der Entwicklungshilfe getan.
Auch wenn die Entwicklungshilfe verdoppelt wird – schon über die Größenordnung sollten keine Illusionen bestehen. Die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe des Westens beläuft sich auf 80 Milliarden Mark im Jahr, das ist ein Drittel weniger als die jährlichen Transferzahlungen von West- nach Ostdeutschland! Indien muss jährlich 15 Millionen neue Jobs schaffen, um in zehn Jahren annähernd Vollbeschäftigung zu erreichen. Bei vergleichsweise niedrig angesetzten Investitionskosten von 100.000 Mark für einen neuen Arbeitsplatz sind dafür jährliche Investitionen von 1,5 Billionen Mark erforderlich, etwa 3,5 Prozent des Bruttosozialproduktes der Industrieländer – allein für Indien. Dieser immense Kapitalbedarf kann niemals öffentlich finanziert, sondern nur mit privatem Kapital gedeckt werden.
Damit dieses Kapital aber für das notwendige arbeitsintensive Wachstum in der Dritten Welt auch seine Wirkung entfalten kann, müssen entsprechende Bedingungen erfüllt sein. An erster Stelle steht die Aufhebung der Importbeschränkungen der Industrieländer für Agrarprodukte und arbeitsintensive Industriegüter wie zum Beispiel Textilien aus der Dritten Welt. Genauso muss umgekehrt auch die ökologisch und ökonomisch sinnlose Exportsubventionierung für westliche Agrarprodukte beendet werden. Bisher ging die Globalisierung des Handels zu Lasten der Entwicklungsländer; die Handelsbeschränkungen haben sie ein Vielfaches dessen gekostet, was sie an Entwicklungshilfe erhalten haben.
Der Westen muss teilen, nicht nur die Vorteile des Handels, sondern auch Einfluss und Macht. Die Entwicklungsländer dürfen in globalen Entscheidungsgremien wie dem Internationalen Weltwährungsfonds nicht mehr länger am Katzentisch sitzen. Eine Hand voll Industrieländer bzw. die Vertreter der westlichen Großbanken entscheiden über das wirtschaftspolitische Schicksal der Welt. Die meisten Betroffenen haben nichts zu melden, müssen jedoch die Konsequenzen einer verfehlten Politik ausbaden: Man denke an die verheerenden sozialen Auswirkungen der Politik des Währungsfonds während der Asienkrise 1997.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen liegen ausschließlich in der Verantwortung des Westens. Auf der anstehenden Welthandelskonferenz in Katar ließe sich ein Anfang für eine neue, faire Zusammenarbeit mit der Dritten Welt machen.
Doch müssen auch andere Taten folgen. Den Habenichtsen Atomwaffen zu verbieten, aber selbst nicht endlich mit der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen zu beginnen, das ist arrogant. So arrogant, wie Bangladesch oder die Inseln im Südpazifik durch den Anstieg des Meeresspiegels absaufen zu lassen – verursacht durch die Energieverschwendung der Industrieländer. Ein letztes Beispiel: Die Tropen und Subtropen verfügen über die größte Artenvielfalt. Das Know-how, wie sich diese genetische Schatztruhe nutzen lässt, besitzen aber nur die Industrieländer. Daher beanspruchen sie bisher die Gewinne, die durch die Entwicklung neuer Medikamente aus den tropischen Pflanzen entstehen. Doch die Erträge müssen gerecht geteilt werden – eine Möglichkeit dazu bieten die anstehenden Verhandlungen über die Biodiversitätskonvention in Bonn.
Der Westen muss einsehen, dass er nicht, wie ein englisches Sprichwort sagt, den Kuchen essen und ihn gleichzeitig aufheben kann. Wer die Welt ausschließlich nach seinen Regeln regieren will, kann nicht erwarten, dass er geliebt und im Kampf gegen den Terror unterstützt wird. THILO BODE
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