Grüne fordern Insolvenzrecht für Staaten

Unabhängiges Schiedsgericht soll die Überschuldung vieler Entwicklungsländer stoppen. Heute Debatte im Bundestag

BERLIN taz ■ Wenn eine Firma ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, meldet sie irgendwann Insolvenz an. Wenn ein Staat zahlungsunfähig ist, macht er neue Schulden oder schuldet seine alten Verbindlichkeiten um. Die Firma kann sich auf diese Weise ein Stück weit vor den Forderungen ihrer Gläubiger schützen. Der Staat kann das nicht – im Gegenteil: Er muss sich immer weiter und immer höher verschulden, um Zinsen und Tilgungsraten an seine Gläubiger zurückzahlen zu können.

Weil viele Schwellen- und Entwicklungsländer bereits am Rande ihrer Belastbarkeit stehen – in Ecuador etwa fließt die Hälfte des Staatshaushalts in den Schuldendienst –, fordern die Grünen in einem Eckpunktepapier jetzt ein internationales Insolvenzrecht. Das Thema wird heute auch im Bundestag debattiert.

Dem Papier nach soll ein „unabhängiges Schiedsgericht“, das nur bei Bedarf einberufen wird, die Zahlungsunfähigkeit festellen. So wollen die Grünen gewährleisten, dass Schuldenerlasse oder Umschuldungen nicht in erster Linie die Interessen der Gläubiger im Visier haben – nämlich die Rückzahlung von Krediten zu garantieren. Vielmehr soll ein solches Gericht auch bewerten, ob einem Land zuzumuten ist, Milliardenbeträge für Zinsen und Tilungsraten auszugeben – Geld, das für Entwicklung und Armutsbekämpfung dann fehlt. „Die betroffenen Staaten sollen nicht wegen des Schuldendienstes auf die Entwicklung ihrer Volkswirtschaften verzichten müssen“, sagte Grünen-Geschäftsführerin Kristin Heyne gestern in Berlin.

Die Forderung der Grünen ist nicht neu. Das internationale Bündnis Erlassjahrkampgane, das sich für eine Entschuldung der Dritten Welt einsetzt, hält ein Insolvenzrecht für einen „entscheidenden Bestandteil der Entwicklungshilfe“, wie Mitarbeiter Pedro Morazán der taz sagte. „Jeder Schuldner muss ein Recht auf ein Existenzminimum haben.“ Auch der Internationale Währungsfonds hat sich bereits mit dem Thema befasst. IWF-Chef Horst Köhler sagte bei einem Treffen mit Entwicklungsverbänden Anfang September in Berlin, es müsse „einen neuen rechtlichen Rahmen im Schuldenmanagement“ geben.

Das federführende Bundesfinanzministerium hingegen steht einem solchen Insolvenzrecht, das für die Regierung erst einmal Zahlungsausfälle bedeuten würde, bisher skeptisch gegenüber. Offiziell wollte man sich gestern nicht zu dem Grünen-Vorschlag äußern, bevor dieser den Weg in die SPD-Fraktion genommen hat. Ein Mitarbeiter des Ministeriums ließ aber durchblicken, dass er die Forderungen für „unpraktikabel“ und „ziemlich abstrus“ halte. Bei der Erlassjahrkampagne gilt das deutsche Ministerium als „Bremser“ in der internationalen Diskussion, während US-Finanzminister Paul O’Neill sich angeblich eher offen zeigt.

In der Tat hat der Vorschlag vor allem eine Schwachstelle: Erklärt ein Land sich offiziell zahlungsunfähig, sinkt womöglich seine Kreditwürdigkeit. Kritiker des Vorschlags und auch die Regierungen in den Entwicklungsländern selbst fürchten, dass sich bankrotte Staaten nur noch zu höheren Zinsen Geld bei den internationalen Gläubigern ausleihen können. Doch die Befürworter haben auch dafür eine Lösung: „Wir müssen das Wort Insolvenzrecht vermeiden“, sagt Heyne. Stattdessen sprechen die Grünen von einem „transparenten Verfahren zur Bereinigung der Überschuldung von Staaten“.

KATHARINA KOUFEN