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Ein Zigeunerlager zieht in den Westen

Der Zeitgeist spricht Ungarisch: Berliner Bands wie Jerewan, die Transsylvanians und Di Grine Kuzine betreiben die Osterweiterung des deutschen Folk. Ihr Umgang mit traditionellem Stoff folgt keinem Reinheitsgebot: Das Spektrum reicht von Kaukabilly über Klezmer-Brass bis zu Balkan-Speedfolk

von CHRISTIAN RATH

In der alten Bundesrepublik galt die Volksmusik aus Ungarn oder vom Balkan noch als Fall fürs Musikantenstadl. Und nicht einmal in der DDR standen sie besonders hoch im Kurs. Zwar kamen dort oft trachtenbewehrte Folkloretruppen aus Bruderländern zu Besuch, doch beeindruckt haben sie noch nicht einmal die Folkszene der DDR. „Was von oben vorgesetzt wird, ist eben immer uninteressant“, erinnert sich Jan Hermerschmidt von der Berliner Band „Jerewan“.

Heute dagegen ist der Blick nach Osten im deutschen Folk längst obligatorisch: Die Transsylvanians etwa spielen ungarische Volksmusik im Alternative-Rock-Stil, und nennen das Ganze Hungarian Speedfolk. „Jerewan“ haben ihre reizvoll-vertrackte Ost-West-Fusion aus kaukasischer Tradition und Rockabilly den Namen „Kaukabilly“ gegeben. Und Di Grine Kuzine mischt Balkan und Klezmer mit allem, was ihren Bläsern Spaß macht.

Gemeinsam ist den drei Projekten, dass sie jeweils sehr eigenständig mit dem Ost-Material umgehen, auf tanzbare Rhythmen setzen – und dass sie alle aus Berlin kommen. Nur ein Zufall vielleicht, aber Berlin hat eine lange Tradition als Tor zum Osten, und an diese Rolle versucht die Stadt heute mehr denn je anzuknüpfen. Band wie Jerewan, die Transsylvanians und Di Grine Kuzine zollen diesem Zeitgeist musikalischen Tribut.

Die Musiker dieser drei Bands sind jedoch fast durchgängig Deutsche, immerhin sowohl aus den neuen wie den alten Bundesländern, und insoweit typisch für Berlin. Trotzdem wundert es schon, dass Projekte, die sich so stark an der Musik des Ostens orientieren, nicht im besseren Austausch mit Musikern aus der Region stehen – schließlich leben in Berlin inzwischen mehr als 200.000 Neuzuwanderer aus den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts. Nur bei den Transsylvanians gibt mit dem glatzköpfigen Geiger Andras Tiborsz ein Ungar, der in den 80ern nach Berlin kam, den Ton an. Dagegen versteht sich Alexandra Dimitroff, die Akkordeonistin der Grinen Kuzine, trotz ihres bulgarischen Vaters, in erster Linie als echte Berlinerin. Vielleicht braucht es aber auch etwas Abstand, wenn man ohnehin keine „authentische“ Musik spielen will und lieber, wie es Di Grine Kuzine tut, Latin-Percussion unter die Balkan-Bläser mischt. In Tschechien fand man Di Grine Kuzine so apart, dass das Fernsehen dort eine Dokumentation über die Band drehte.

Bei der Selbstdarstellung in Deutschland lässt man die eigene Nationalität jedoch gerne etwas im Unklaren. Steffen Zimmer, der Kuzine-Trompeter, trägt den Bandnamen Karel Komnatoff, ein Übersetzungsversuch wurde zum Künstlernamen. Und die Sängerin und Bassistin der Transsylvanians nennt sich auf der Bühne Szilvana. „Die Leute schauten immer so enttäuscht, wenn ich sagte, ich heiße Elke Dürr. Das konnte ich echt nicht ertragen.“ Immerhin hat Szilvana Ungarisch gelernt und versteht auch, was sie singt, genauso wie natürlich Alexandra Dimitroff, die im Zweifel ihren Vater zu Rate zieht. „Der hätte auch nie gedacht, dass ich mal was mit Balkan-Traditionen mache.“ Ursprünglich hatte sie eine klassische Musik- und Gesangsausbildung begonnen.

Richtige Band-Legenden wie bei den englischen 3 Mustapha 3 werden aber nicht gesponnen. Denn immer wieder kommen authentische Osteuropäer zu den Konzerten, die das ohnehin durchschauen würden. Oder doch nicht? „Manchmal sprechen uns bei einem Stück nacheinander Serben und Albaner an und sagen, es sei ein Lied aus ihrem Land“, freut sich Jan Hermerschmidt, „Die streiten dann zwar, aus welchem Land unsere Stücke eigentlich kommen. Aber wenigstens nur über Musik.“

CHRISTIAN RATH

Im Internet: www.transsylvanians.de; www.jerewan.de; www.kuzine.de

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