Amateur-Pin-ups mit Sonnenbrand

Die türkische Touristenhochburg Side ist schon lange als Bordell in Verruf geraten. Jetzt gehen die Tourismusverantwortlichen in sich und wollen mit Flirtkursen die Anmache zwischen Mann und Frau kultivieren und sozialverträglicher machen

von CORNELIA UEBEL

Unbeirrt von der glühenden Sonne stapft Mahmut mit seiner Fototasche über den heißen Sandstrand – vorbei an Celluliteschenkeln, Sonnenbränden und Bierbäuchen. Nach 20 Metern hat der Fotograf gefunden, was er gesucht hat: Auf ihren Sonnenliegen entspannen Anika und Mary, zwei junge Frauen aus dem Raum Frankfurt, die eine Woche Türkei gebucht haben. Mahmut wirft sich mit viel Gehabe in die Pose des Profifotografen und geht schließlich zum Angriff über: Mit Händen und Füßen gestikulierend bittet er sie, doch bitte noch den Bikini-Top zu lüften. Please! Anika und Mary zieren sich erst, dann lachen sie. Schließlich sind sie nicht die einzigen Barbusigen am Strand von Side. Anika und Mary ahnen nicht, dass sie das Opfer eines türkischen Strand-Paparazzo geworden sind.

Der 44-jährige Strandfotograf mit eigenem Berufsethos („Ich zieh sie alle aus“) beliefert seit Jahren türkische Zeitungen mit Fotos von spärlich bekleideten Touristinnen. Die Amateur-Pin-ups vom Strand sind das Bonbon, das die Redaktionen ihren Lesern präsentieren. Ein paar Tage später wird ein Foto von Anika und Mary in einem Anzeigenblatt unter der Überschrift „Deutsche Engel“ erscheinen.

In einem schwülstigen Begleittext ist zu lesen, dass diese deutschen Touristinnen „die Aufmerksamkeit und Beachtung der türkischen Männer sehr genießen“. Dass die anzüglichen Bildtexte meist frei erfunden sind, ahnen die wenigsten Leser.

Mit dem Massentourismus eroberten auch westeuropäische Touristinnen die Strände. Um die große Neugier auf diese fremden Wesen zu befriedigen, wurde damals in der Türkei eigens eine Tageszeitung namens Helga gegründet. Sie zeigte nichts anderes als die geöffneten Schenkel und die nackten Busen der Urlauberinnen. Mahmut erinnert sich an die goldenen Zeiten: „An der Auflage war abzulesen, wie groß der Hunger der türkischen Männer auf nacktes Fleisch war.“ Mit einer Million Exemplaren war Helga die erfolgreichste Publikation in der Türkei. Die anderen Zeitungen zogen nach und legten den Urlauberinnen eindeutige Absichten in den Mund. „Ich komme aus Erlangen“, konnte man dort lesen, „Ich genieße Strand, Sonne und mehr. Aber besonders gefallen mir die türkischen Männer. Sie sind so stark.“

Die Westtouristinnen bestätigen auch heute noch alle Klischees: Sie zeigen viel Bein, tiefe Dekolletés und flanieren in Miniröcken durch die Straßen und müssen damit rechnen, wie Freiwild behandelt zu werden. Mit der lästigen Anmache muss auch Helga Önder leben. Die 55-jährige Speditionskauffrau betreibt mit ihrem türkischen Ehemann eine kleine Familienpension in Antalya und lebt seit fünf Jahren in der Türkei. Jeder im Stadtteil Konyallti – vom Bürgermeister bis zum Käsehändler – kennt die patente Berlinerin. Und trotzdem passiert es immer wieder, dass ein türkisches Jüngelchen der gestandenen Frau Küsschen zuwirft und anzüglich lächelt. Doch Helga Önder kann sich wehren – und zwar auf Türkisch.

Die meisten Touristinnen aber stehen wie Anika und Mary der permanenten Anmache hilflos gegenüber. „Nein sagen reicht hier nicht“, erzählt Mary etwas ratlos. Ein Basari in Side hat ihr vor ein paar Tagen ungefragt die Hand abgeschleckt. Seitdem weiß sie: Wer sich aus Höflichkeit auf ein Gespräch einlässt, muss mit unerwünschtem Körperkontakt rechnen.

„Der Tourismus“, sagt Helga Önder, „hat den Charakter der Menschen an der Küste verändert. Heute zählen nur noch Geld, Abzocken und Sex.“ Und Schuld, findet sie, haben die türkischen Medien, der Staat, der wegen der Devisen den Nackten keine Schranken auferlegt hat, und die Touristen. „Die denken, weil sie das Geld bringen, dürfen sie sich benehmen, wie sie wollen. Side ist für mich ein einziges großes Bordell.“

Tatsächlich gilt Side als Eldorado für ältere Urlauberinnen, die für Liebesdienste auch bezahlen. Einer der vielen Strand-Casanovas, die sich auf die ältere Generation spezialisiert haben, ist Aydin. Unumwunden gibt er seine Absichten bekannt: „Ich suche reiche Witwen am Strand. Wenn ich eine fange, brauche ich nicht mehr zu arbeiten.“ Der Türke aus Köln, der im Trikot der deutschen Nationalmannschaft am Strand nach Beute sucht, baggert nach dem Prinzip „Trial and Error“. Angesprochen wird also erst mal jede. „Dass sie Interesse haben, merkt man, wenn sie stehen bleiben.“ Stolz zeigt der 29-Jährige auf ein pinkfarbenes, altes Fahrrad. Sein Arbeitsgerät. Wenn Aydin damit durch Side fährt, finden das die Damen immer ganz niedlich. So kommt man ins Gespräch. Den Drahtesel hat er von einer Verflossenen geschenkt bekommen und noch dazu Geld. Seine letzte Affäre hat ihn dagegen einfach gegen einen Jüngeren ausgetauscht. Doch nicht mit Aydin. „Ich hab ihr gesagt: Wenn du mir nicht Geld gibst, mach ich dich weg.“ Was er damit meint? Nun ja, er weiß, wo die Frau arbeitet, er weiß, wo ihr Sohn lebt.

Es ist vier Uhr Nachmittag am Strand von Side. Mahmut, der Fotograf, ist immer noch auf der Pirsch. Fotoobjekte findet er genügend. Ob und wie viele Bilder er aber an die türkischen Printmedien verkaufen kann, ist fraglich. Die Redaktionen greifen inzwischen lieber auf die septischen und sterilen Bikini-Models der internationalen Modeszene zurück. Auch die Geschäftsleute von Side sind in sich gegangen. Das Fischerdorf hat durch den Sextourismus und die notorische Anbaggerei mittlerweile einen schlechten Ruf. „Es hat Probleme mit unseren Kellnern gegeben“, räumt der freundliche Vereinsvorsitzende Mehmet Karatas ein. „Unsere Jungs haben von den Frauen Geld kassiert und sind dann einfach verschwunden.“ So geht das nicht, befand man im Vorstand. Jetzt will man im Winter unter fachlicher Anleitung Flirtkurse für Kellner anbieten. „Die Kollegen müssen lernen, behutsamer Freundschaften mit den weiblichen Gästen einzugehen.“ Was er mit Freundschaft meint? Karatas lacht etwas verlegen: „Na ja, die weiblichen Gäste sollen schon bekommen, wonach sie verlangen.“ Das Geschäft muss schließlich weitergehen.