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ejectARNO FRANK hat die Nase voll

Über den Bedeutungswandel von „weißem Pulver“

Wer im Netz nach „japan“ und „anthrax“ googelt, der stößt nur noch auf die Tourneepläne einer ob ihres Namens neuerdings zerknirschten Heavy-Metal-Band. Kein Wort darüber, dass Japan einst tödliche Erreger über sein chinesisches „Protektorat“ Mandschuko regnen ließ.

Dass jetzt moderne Medien Ziel paramilitärischer Verunsicherungsstrategien zu sein scheinen, hat Methode. Allenthalben rieselt uns verdächtig „weißes Pulver“ entgegen, Absender unbekannt. Was davon zu halten ist, hat Ulrich Raulff in der Süddeutschen Zeitung treffend beschrieben: „Unabhängig von seinem schriftlichen Inhalt ist der Brief das schlichteste und älteste Zeichen für Kommunikation, wie Habermas sagen würde, oder für eine Politik der Freundschaft nach Derrida. Dieses Zeichen hat der jüngste Terror entwendet und verkehrt.“

Als vor Jahresfrist ein Privatsender „weißes Pulver“ auf den Abgeordnetentoiletten des Reichstages gefunden haben wollte, hielt sich die Panik in Grenzen – geschürt wurde höchstens der schreckliche Verdacht, koksende Volksvertreter gewählt zu haben. Schulen, Flughäfen, Briefzentren oder Möbelhäuser mögen per Pulver stillgelegt werden, aber nur Medien potenzieren die Panik – sind also die richtigen Adressaten. Zudem es gerade dort auch Menschen geben soll, die Pulver aus anonymen Briefchen ratzfatz durch die Nase ziehen würden.

Es war, wie immer, die Bild-Zeitung, die als erste ein Szenario apokalyptischer Bedrohung der westlichen Zivilisation zeichnete, indem sie auf die afghanischen Opiumfelder verwies: Was passiert, wenn der Drogenmarkt auf einmal von extra reinem, ungestreckem Heroin überschwemmt wird? Was, wenn der „Schwarze Afghane“ plötzlich wieder erhältlich sein sollte, der in den Siebzigern schon mal eine ganze Generation ins Nirwana getrieben haben soll? Daraus jedenfalls wird nichts mehr: Wer heute noch Drogen mit der Post verschickt, ist mehr Trottel als Terrorist.

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