Dschihad gegen die Moderne

PRO: Der Militäreinsatz in Afghanistan ist eine legitime Antwort auf den Terror

Die USA und Großbritannien führen keinen Krieg gegen Afghanistan und die AfghanInnen. Es handelt sich um militärische Operationen gegen die Logistik des Terrornetzwerks al-Qaida und die Militäreinrichtungen ihrer Unterstützer, des Taliban-Regimes. Dieses repräsentiert weder den afghanischen Staat noch die afghanische Bevölkerung. Der Militäreinsatz ist eine legitime Antwort auf die Massenmorde vom 11. September, wenn er nicht in einen kopflosen Rachefeldzug mündet, sondern auf den Sturz des Taliban-Regimes, die Zerschlagung von al-Qaida und die Wiederherstellung einer staatlichen Ordnung in Afghanistan abzielt. Genau dies sind die Pläne der Anti-Terror-Allianz, berücksichtigt man die bislang bekannt gewordenen Überlegungen für ein posttalibanisches Afghanistan.

Spätestens seit al-Qaida zum Dschihad aufgerufen und weitere monströse Anschläge angekündigt hat, kann zumindest von der Mittäterschaft Ussama bin Ladens und seiner Gefolgsleute ausgegangen werden. Wer darauf beharrt, dass Bin Ladens Schuld noch nicht zweifelsfrei bewiesen und deshalb ein militärisches Vorgehen illegitim sei, der muss zumindest dies zur Kenntnis nehmen: Die Taliban haben in ihrem Einflussbereich die Bildung transnational agierender radikalislamistischer Terrorgruppen zugelassen. Diese operierten und operieren unter anderem in Algerien, Tschetschenien, in Bosnien, dem Kosovo und auf den Philippinen. Und bei einer Reihe von Terroranschlägen, die in den letzten Jahren in Saudi-Arabien, Kenia und den USA verübt wurden, führen die Spuren nach Afghanistan. Wer fordert, statt dass Krieg geführt wird, müssten die Ursachen des Terrorismus bekämpft werden, der unterstellt, al-Qaida, Bin Laden und der radikale Islamismus seien so etwas wie Interessenvertreter der Dritten Welt und sie würden gegen die ungerechte Reichtumsverteilung oder gar den Kapitalismus streiten. Das aber ist eine These ohne jeden Beleg. Klarer hingegen sind andere Ziele Bin Ladens. Vor gut einer Woche verkündete er erneut, worum es ihm geht: um die ethnisch-religiöse Säuberung der „islamischen Nation“ und um die Vertreibung aller Ungläubigen von arabischem Boden. Das meint vor allem die Vernichtung Israels. Zur Erringung der Vorherrschaft in der islamischen Welt strebt Bin Laden deshalb zunächst die Macht im atomar aufgerüsteten Pakistan und vor allem im wahhabitischen Saudi-Arabien an. Bin Ladens Vorwurf: Das bis vor kurzem talibanfreundliche saudische Königshaus, das in den letzten Jahren nicht nur tausende von Religionsschulen in Pakistan finanzierte, sondern selbst Teil des radikalislamistischen Terrorproblems ist, habe zugelassen, dass die „gottlosen Amerikaner“ zu den wahren Wächtern Mekkas geworden seien.

Die USA und die Nato befinden sich weder in einem Krieg gegen den Islam noch in einem Krieg der Kulturen. Vielmehr führen Terrorgruppen wie al-Qaida einen weltweiten Dschihad gegen die Moderne. Seit Jahren tobt dieser gegen säkulare Muslime, nun soll er in die westlichen Metropolen getragen werden. Friedliche Konfliktlösungsstrategien sind zum Scheitern verurteilt. Über was sollte mit Personen wie Bin Laden, der eine moderne Variante des Faschismus repräsentiert, verhandelt werden?

Militärische Optionen sind deshalb unerlässlich, bergen aber sehr wohl hohe Risiken in sich, wenn sie nicht streng begrenzt und als notwendiger Teil einer politischen und humanitären Strategie für Afghanistan vermittelbar sind. Ansonsten könnten unkalkulierbare Solidarisierungseffekte in der islamischen Welt die Folge sein.

Wer allerdings bereits heute einen apokalyptischen Flächenbrand im Nahen Osten und Zentralasien als Folge der Terrorbekämpfung prophezeit und deshalb weiter auf diffuse Verhandlungsstrategien setzt, der macht die Angelegenheit zur Glaubensfrage. Ob die gewählte Strategie zum gewünschten Erfolg führt, lässt sich erst im historischen Rückblick bewerten.

EBERHARD SEIDEL

Fotohinweis: Eberhard Seidel leitet das Inlandsressort der taz. Davor betreute er drei Jahre lang die Meinungsseite.