Chaos und Meditation

Auf der Bühne sagen sie lustige Sachen wie „The next song is about cactus“: Heute abend lassen Melt Banana aus Japan mit ihrem Grindcore rosa Seifenblasen platzen

In Japan ist die Grenze zwischen Pop und Grindcore unscharf. Wenn sie denn überhaupt gezogen wird. Weit draußen im Osten fällt alles, was aus dem fernen Westen kommt, unter das Diktum des „Pop“ – egal, ob es sich um den Zwölfton-Kammbläser oder einen Selbstverstümmelungs-Performer handelt.

Von solcher Offenheit profitieren die einheimischen Weirdos nur selten – ohne jetzt das Klischee von Propheten im eigenen Land über die Maßen bemühen zu wollen. Eine Band wie Melt Banana darf da zweimal im Jahr durch die vier Clubs touren, die die ausgedünnte japanische Subkultur für ihren Minoritätsrock noch bereitstellt. Den Rest des Jahres hängt man dann cool im hippen Tokioter Künstler-Bezirk Shibuya rum und läßt den Punk raushängen oder geht mit befreundeten Musiker aus Übersee auf Tour. Aber eine Vision kann man den Protagonisten der japanischen Krach-Szene nicht absprechen. Das Verständnis von Popmusik als großer Selbstbedienungsladen ist nie konsequenter in eine musikalische Form gebracht worden als durch Bands wie die Bordoms, die Ruins oder Melt Banana.

Chaos und Strategie, Panik und Meditation, Avant und Hard, Pop und Punk erlebten seltene und seltsame Übereinkünfte in diesem rasenden und brutal-verkürzten Cartoon-Hardcore. Das war zu schnell für das westliche Pop-Verständnis, das von der fernöstlichen Zitierwut schlicht überfordert schien – oder nur einen ausgemachten Exotismus sehen wollte. Ruins und Boredoms hatten auf ihren ersten US-Touren Ende der 80er noch die dankbare Aufgabe, in Spießer-Jazzclubs die anwesenden Bierbäuche mit ihren Eskapaden in Verzückung zu versetzen.

Als Melt Banana Mitte der 90er Jahre auf der Bildfläche auftauchten, hatten aber längst Leute wie Steve Albini, Thurston Moore und Jim O’Rourke das Protektorat übernommen; später sollte vor allem Mike Patton (Faith No More, Mr. Bungle) maßgeblich die Karriere von Melt Banana nach vorn bringen. Bevor er dann Fantomas gründete, was eigentlich eine exakte Kopie des Melt Banana-Showkonzepts gewesen ist. Aber eben doch nur ein Kopie. Denn viel lieber als vier mittelalten, schwitzenden Egozentrikern guckt man doch vier Japanern auf der Bühne zu; die sind nämlich alle putzig anzuschauen, wenn sie hektisch auf ihre Instrumente eindreschen (die beiden weiblichen Mitglieder Yasuko und Rika sind wie stolze Samurai-Kriegerinnen) und sagen lustige Sachen wie „The next song is about cactus“ .

Und um jetzt mal zum Punkt „Grindcore und Pop“ zurückzukommen: Die Brücke schlagen Melt Banana locker, mehr noch als alle anderen Vertreter des knallbunten „Japan Krrrch“. Melt Banana sind im Geiste zwar mehr Black Flag und Dead Kennedys, geben sich mit der altbackenen „Rein/Raus“-Punknummer aber nicht mehr zufrieden. Melt Banana setzen sich fest. Auf ihren Konzerten geht es ans zentrale Nervensystem. Die hochgestimmten Gitarren mit dem Charme eines Rasenmähermotors und Yasikos quietschiges Gebrüll treffen das menschliche Ohr im oberen Frequenzbereich; da wo es wehtut und außerdem ein unbestimmbares Gefühl von Panik ausgelöst wird, wie durch den Klang einer Hundepfeife.

Diese forcierten Stressattacken bestechen vor allem durch ihre skalpellscharfen Stop-and-Go-Breaks. Und seit sie auch – ganz „alte Schule“ – die Vorzüge des Taperecorders wiederentdeckt haben, kriegen sie ihr Schlagzeug heute in „Beats per Minutes“-Drehzahlbereiche, von denen jeder Gabba-DJ nur träumen kann. Melt Banana fahren schweres Geschütz auf, um die rosa Seifenblasen zum Platzen zu bringen. ANDREAS BUSCHE

22 Uhr im Bastard im Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg