Der Markt ist ein Messer

Adam Michnik, Exdissident und heute Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, erzählt von den Überlebensstrategien seiner Zeitung in der polnischen Presselandschaft

Nein, er wirkt nicht wie der Chefredakteur einer international renommierten Tageszeitung: Das schon etwas gelichtete Haar wirr, das Hemd offen, die Stimme bisweilen stockend. Doch sein Name hat Klang: Adam Michnik, einst polnischer Dissident und Regimekritiker, heute Chefredakteur der Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza.

200 Zuhörer füllen den Saal im Polnischen Institut am Montagabend bis auf den letzten Platz, viele müssen stehen. Die Mehrzahl sind Polen. Bei Michniks oft überaus witzigen Antworten lachen sie schon, ehe der Dolmetscher übersetzt. Das Thema: „Die Gazeta Wyborcza als Beispiel polnischer Wirtschaft“. Gleich zu Beginn des Podiumsgesprächs stellt Michnik klar, dass er ein gespaltenes Verhältnis zum Markt habe: „Er erinnert mich an ein Messer.“ Man könne damit schneiden oder einen Menschen umbringen. Sein Traum sei ein Markt mit menschlichem Antlitz. Bereiche wie die Kultur dürften den Marktgesetzen nicht unterworfen werden.

Doch in den zwölf Jahren an der Spitze der Zeitung hat Michnik auch gelernt: Eine Zeitung ist eine Ware, und diese Ware muss sich verkaufen. Jeder Tag ist eine Bewährungsprobe, gerade auch in einer demokratischen Gesellschaft: „Wenn wir von keinem Zentralkomitee abhängig sein wollen, dann müssen wir von unseren Lesern abhängen.“

Für den 55-Jährigen müssen Medienleute „zwei Seelen“ haben: die Seele eines Geschäftsmannes und die eines Propheten aus dem Alten Testament. Denn auch in der Marktwirtschaft müsse klar sein: Zeitung machen sei etwas anderes als Seife herstellen. Die Wyborcza befinde sich auf einer Gratwanderung zwischen Spektakulärem und Anspruchsvollem. Stolz bilanziert Michnik die Bandbreite der auflagenstärksten polnischen Zeitung: von einer „High Heels“-Beilage für Leserinnen bis zur Intellektuellenbeilage am Wochenende.

Für sich selbst traf Michnik eine klare Entscheidung zwischen Geschäft und Gewissen. Für ihn als Aushängeschild sei es wichtig, nicht mit Geld in Verbindung gebracht zu werden. Deswegen ist selbst nicht mit Aktien an Agora, dem Medienkonzern, der die Wyborcza herausgibt, beteiligt. „Das ist auch ein Signal für die Öffentlichkeit: Wer auf Geld und Gewinn verzichtet, kann nicht korrupt sein.“ Im Redaktionsalltag bringe ihm das große Vorteile. Michnik sagt, er sei „ein schwieriger Chef mit einer starken Hand“. Redakteure müssten ihre Texte oft mehrmals überarbeiten. Das setze voraus, dass seine persönliche Unabhängigkeit unstrittig sei: „Sie müssen die Gewissheit haben, dass ich nicht Millionen eingesteckt habe, und jetzt mache ich ihnen das Leben schwer.“ DPA