Senden in alle Richtungen

Radio Maschhad, offiziell Teil des iranischen Staatsfunks, ist die eigentliche „Stimme Afghanistans“. Das Programm ist relativ kritisch und seine Macher sind bei Taliban und Nordallianz akkreditiert

von ROLAND HOFWILER

Wie heißt der populärste Radiosender Afghanistans? Es ist Radio Maschhad aus dem Norden Irans. Das zumindest sagen die Flüchtlinge, die in Pakistan stranden. Das bestätigen auch die 2,3 Millionen afghanischer Exilanten im Iran. Für die Kämpfer der Nordallianz ist Radio Maschhad eine wichtige Informationsquelle. Und sogar die Auslandssprecher der Taliban in Pakistan loben die „umfangreiche Berichterstattung und Ausgewogenheit“ des Senders.

Nur: Wie können Radiomacher in Zeiten des Krieges wirklich ein ausgewogenes Programm machen? Und wie sollte dies gerade in einem Land gelingen, in dem es mit der Medienfreiheit – salopp formuliert – alles andere als zum Besten steht? Radio Maschhad versucht immerhin den Spagat. Offiziell eine Lokalstation der offiziösenStimme der Iranischen Republik, ist der Sender längst die „Afghanistanstimme“ des Iran geworden. Neben Persisch werden Programme auch in den Landessprachen Afghanistans ausgestrahlt – fast rund um die Uhr.

Diesen Erfolg verdankt Radio Maschhad zwei Faktoren: Zum einen verloren die westlichen Radiomacher seit Beginn des US-Luftkrieges bei den Afghanen enorm an Glaubwürdigkeit, zum anderen genießt das Auslandsprogramm gewisse Freiheiten, die iranischenMedien ansonsten verwehrt sind.

Wie weit der Einfluss von Auslandssendern wie der Voice of America, der BBC oder Radio France International tatsächlich schwindet, bleibt allerdings Spekulation. Anscheinend stoßen jedoch die einst im Land der Taliban populären Dienste aus dem Westen bei den Hörern zunehmend auf Ablehnung. Konfrontiert mit US-Kampfjets am Himmel, mit Bombenangriffen, Gerüchten über Massaker an Zivilisten, glauben viele nicht mehr, was sie etwa bei der „seriösen BBC“ hören.

In den „Afghanistanredaktionen“ in London, Washington und Paris sind sich die Journalisten längst bewusst, dass es mit der Übersetzung und Bearbeitung von Beiträgen aus dem heimischen Sendepool in dieser dramatischen Situation nicht getan sein kann. Doch ihnen sind die Hände gebunden. Sie müssen politisch auf Linie bleiben, die Reden der Großen dieser Welt unkommentiert ausstrahlen, deren „Friedensappelle“ übertragen und die militärischen Aktionen als „traurige Notwendigkeit“ rechtfertigen. Eigene Recherchen sind für die afghanischen Exiljournalisten kaum möglich. In den Fluren der Redaktionen rumort es, die Unzufriedenheit über die eigene Berichterstattung wächst. Doch die Intendanten – und hier und da die Berater des Außenministeriums – haben das letzte Wort und scheren sich wenig um die moralischen Bedenken im Auslandsdienst der riesigen Sendeanstalten.

Bei Radio Maschhad ist vieles anders. Die Redakteure recherchieren in alle Richtungen, übernehmen von der BBC oder der Stimme Amerikas, was sie für wichtig halten, bedienen sich des umfangreichen Materials aus der islamischen Welt und haben – weiterhin von der Weltöffentlichkeit ignoriert – eigene Teams im Kampfgebiet: Radio-Maschhad-Reporter gehen mit Kämpfern der Nordallianz an die Front, sind gleichzeitig aber auch im Land der Taliban präsent.

Politisches Geheimnis

Wie es den Iranern gelingen konnte, in beiden Lagern respektiert zu werden, das bleibt vorerst ein politisches Geheimnis. Die iranische Regierung zumindest stellt sich offiziell klar hinter den „gerechten Kampf“ der Nordallianz gegen die Taliban. Teheran verschleiert allerdings auch nicht, dass in einer künftigen Friedensordnung das Taliban-Regime mitvertreten sein müsse.

Außerdem gewährt die islamische Führung dem ehemaligen afghanischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatjar weiterhin Exil. Der ehemalige Kabuler Machthaber, den die Taliban 1996 verjagten, hat mehrfach angekündigt, er werde bei einer Besetzung Afghanistans – egal ob durch Amerikaner oder Russen – den bewaffneten Kampf gegen die Okkupanten zusammen mit den Taliban und der Nordallianz aufnehmen. Was immer man von den Spinnereien eines Hekmatjar halten mag, er und andere lokale Kriegsgrößen bringen Farbe in das Programm von Radio Maschhad – und machen den Sender populär.

Es ist die Mischung aus Reportagen, Interviews und Analysen, die ankommt. Reporter von Radio Maschhad sind an Ort und Stelle, wenn die Amerikaner ein anscheinend ziviles Wohnhaus zerstörten, sie sprechen mit Flüchtlingen, die an der afghanisch-pakistanischen Grenze festsitzen, sie befragen Politiker aus allen ideologischen Lagern, wie die Not der Menschen gelindert und eine diplomatische Lösung für Afghanistan gefunden werden könnte. In Diskussionsrunden werden auch so heikle Fragen aufgeworfen, ob der Iran den Amerikanern unter gewissen Umständen helfen sollte, den Gotteskrieger Bin Laden aufzuspüren und an ein UNO-Gericht auszuliefern. – Thematisch wird kein Tabu verschont.

USA verdammt

Doch Radio Maschhad versteht sich trotz aller kritischer Beiträge stets als ein Sender der islamischen Welt. Die westliche Kultur wird angeprangert, die vermeintliche Vorherrschaft der USA verdammt, die Einheit aller Muslime gefordert. Für europäische Ohren klingt es unfassbar, wie hier das Existenzrecht Israels bestritten und die Gefahr einer Unterjochung der islamischen Welt durch die westliche Staatengemeinschaft beschworen wird.

Doch die Art und Weise, wie die Radiomacher ihre Botschaft übermitteln, entspricht offenbar dem Denken und Fühlen der Menschen im kriegsgeschüttelten Land. An Radio Maschhad kommt also kein westlicher Sender vorbei, wenn er künftig ein populäres Radioprogramm für die Menschen in Afghanistan auf die Beine stellen will – aber vielleicht hat man den Kampf um die Hörergunst ja auch einfach schon aufgegeben.